Immer mehr Bürgerinnen und Bürger sind nicht einverstanden mit dem „Gartenschau-Wahn“ von Stadt und Gemeinderat / Nabu macht mobil gegen „Möblierung und Eventisierung“.
Waiblingen (gb) – Kritik an den Gartenschauplänen? An Kuben und Kunstlichtung? Gibt’s nicht wirklich und wenn, dann ist sie mittlerweile verstummt. _ So offenbar die Lesart im Rathaus und im Gemeinderat. Doch jetzt formiert sich Widerstand: Allein in den ersten zwei Stunden hat der Naturschutzbund Waiblingen (NABU) am Samstag an seinem Infostand auf dem Marktplatz über 200 Unterschriften gegen den von oben verordneten „Gartenschau-Wahn“ gesammelt. Es war, als habe man ein Ventil geöffnet: Immer mehr Waiblingerinnen und Waiblinger wollen die Ruhe und Naturnähe ihrer ökologisch bestens austarierten Rems-Landschaft offenbar nicht opfern zugunsten einer „Möblierung und Eventisierung“, die so gar nicht in eine Zeit passe, die eher Nachhaltigkeit und Entschleunigung brauche.
Es wurde viel diskutiert am NABU-Stand. “Die Brühlwiesen haben sie schon kaputt-gefeiert“, ätzt ein älterer Herr und eine amtierende Stadträtin muss sich belehren lassen, dass am Talauensee tatsächlich ein weiterer Spielplatz vorgesehen ist: „Des muss mir nausganga sei“. Man habe im Gremium doch immer gesagt, „am Talauensee passiert nichts“. Anhand städtischer Pläne und Zeichnungen erläutern Nabu-Chef Bruno Lorinser, Landschaftsplanerin Inge Maass und zwei Autorinnen der Buchreihe „Waiblinger Wundertüte“ neugierigen Marktbesuchern, was zum Preis von rund 3,5 Millonen Euro bis zum Gartenschau-Termin 2019 allein zwischen Hallenbad und Rundsporthalle so alles passiert. „Hirnrissig“, befindet eine junge Frau. Warum drei schwarze Basalt-Kuben an Remsgestaden zum Zwecke schönerer „Sichtachsen“ auf die Stadt und ihre Türme? „Weil die Planer grad bundesweit auf sowas abfahren“, merkt Bruno Lorinser an. Zeitgeistiger Schnickschnack, siehe auch den „Skywalk“ in Kernen, „teuer und unnötig“. Und auf den Kuben, prognostiziert ein passionierter Remsweg-Radler, „lungern dann nachts die Besoffenen rum- rund um den Talauensee ist’s ja jetzt schon dauernd versaut“.
Aber warum fällt das alles den Leuten erst jetzt auf? Es gab doch vorab die vielbeschworene sogenannte Bürgerbeteiligung? „Eine Farce“, sagt ein Ehepaar, das vergangenes Jahr dabei war. Ideen abgefragt – und Tschüss. Bürgerbeteiligung geht anders. Inge Maass, die selbst einmal die Berliner Bundesgartenschau mitgeplant hat, warnt vor einer „jahrelangen Baustellen mit vielen Erdbewegungen“. Einer der drei Beweidungsplätze für die geliebten Hochlandrinder zum Beispiel wird flachgelegt für ein sogenanntes grünes Klassenzimmer der Christoph-Sonntag-Stiftung. Die Fachleute haben wasserrechtliche Bedenken wegen Hochwassergefahr. Diverse Stellungnahmen aus dem zuständigen Landratsamt stehen aus – weil die städtischen Ideen, aber keine Pläne, erst seit wenigen Tagen dort vorliegen. Manches könnte auch noch aus rechtlichen Gründen kippen – wenn nicht, wäre laut Bruno Lorinser das Beweidungsprojekt gestorben – zu wenig Platz für die Tiere, dazu konzeptionell unorganisiert.
Vor Ort angeschaut haben sich das am Samstagnachmittag gut 50 Mitgänger beim alternativen Talauenspaziergang. Lorinser nennt die Umgestaltung des Wohnmobil-Standplatzes „vernünftig“. Die Sichtterrasse an der Erleninsel „auch okay“. Ab und an auch mal barfuß in die Rems tauchen, also die Ufer zugänglicher machen -prima.

Der weite Blick über die Wiese
Aber eine Kunstlichtung auf der freien Fläche zwischen See und Rundsporthalle? 220 Silberweiden, von unten erstmal drei Meter hoch ausgeastet, sollen einen Kreis um eine Lichtung bilden, die bespielt werden kann – erstmal im Wechsel von blauen Tulpen und rosa Nelken? Kopfschütteln allenthalben. Mit dem Geld- allein 560 000 Euro- könnte man Besseres tun. Aber was? Gibt’s denn etwas, das aus NABU-Sicht zum „Alleinstellungsmerkmal“ einer Waiblinger Gartenschau werden könnte? Aber ja: „Sich auf die Tiere konzentrieren“, sagt Inge Maass.

Eisvogel in der Talaue, Foto: Fred Jencio
Tatsächlich fliegt ein Eisvogel vorbei, mittlerweile gar nicht so selten an der Rems, ein Graureiher spaziert auf Mäusefang über die zukünfitge Lichtung, es gibt Eulen hier und Fledermäuse – und einen Weißstorch. Eine Spaziergängerin hat ihn vor zwei Wochen gesichtet. Genau auf der zukünftigen Kunstlichtung. Das war’s dann wohl? Soll er bleiben, müsste man ihm eine Wohnstatt anbieten und seinen Kumpels gleich mit – was für ein Attraktion! Ein Alleinstellungsmerkmal im ganzen Remstal!
Bruno Lorinser zitiert Punkt 1 der Talauen-Präambel von Stadtchef Hesky: „Stärkung des Naturschutzes“ steht da. – „Thema verfehlt“, konstatiert Lorinser. Mehr Biodiversität – Fehlanzeige! Die Leute stehen jetzt um ihn rum und fragen nach weiteren Unterschriftenlisten zum Mitnehmen. Sie kennen alle noch viel mehr Menschen, die unbedingt unterschreiben wollen.