Ein Spaziergang durch Altstadt und Talaue. Grün bis ans Herz hinan.
von Jürgen Blocher
„Der Domplatz in Florenz ist mir nichts dagegen“. Soweit wie Hermann Hesse auf seiner Nagold-Brücke in Calw willst Du nicht gehen.
Aber der Platz beim Herbergsbrunnen mit dem feingliedrigen Fachwerk als Hintergrund, der südlich anmutende Marktplatz mit seinen Straßencafés, die Fluchten unter dem Alten Rathaus oder der Blick in Hinterhöfe, ja die ganze Anlage der Altstadt mit ihren engen Gassen, die sich immer wieder zu kleinen Plätzen weiten – das alles macht die Stadt zur Heimat, eingebettet ins Remstal und dank Talaue grün bis ans Herz hinan. Wo gibt es das sonst noch! Waiblingen zum Wohlfühlen.
Allerdings: Die Vermarktung der Stadt kratzt bedenklich an ihrem Charme. Der jüngste Akt naht: die Remstalgartenschau 2019.
Die Stadt, genauer Stadtverwaltung samt Gemeinderat, macht es einem nicht leicht. Ohne Werbeschilder ist offenbar kein Geschäft mehr zu machen, und die „Events“ – wie ausuferndes und kommerzialisiertes Altstadtfest samt Staufer-Spektakel mit Folterkammer, wie „Waiblingen leuchtet“, das vom kulturell geprägten Abend zum grellen Remmidemmi verkommen ist, wie jüngst die Heimattage mit Heino als Vorsänger – sie sind kein nachhaltiger Segen für die Läden in der Stadt, wie leere Schaufenster, Smartphone-Shops, Nagelstudios und Discount- und andere Friseure an jeder Ecke zeigen.
Was für ein Vergnügen! Du hast dich heute für einen Spaziergang durch die Talaue entschieden statt im Schmidener Feld mit dem Fellbacher Besinnungsweg – solange er noch nicht von einer Autobahn durchschnitten wird. Grün bis ans Herz hinan: frohen Schrittes zum Bädertörle hinaus auf die große Erleninsel, die heute am späten Morgen hie und da schon als Liegewiese genutzt wird. Das Rehberger-Kunstwerk grüßt knallfarben herüber, eine Sonnenuhr, deren Zeitangaben du bisher nicht zu lesen vermochtest.
Die Rems unter der von Fritz Leonhardt, dem Fernsehturm-Erbauer, entworfenen eleganten Bogenbrücke zieht träge dahin und lässt nicht ahnen, dass sie bei Hochwasser zum reißenden Strom werden kann. Frischwärts: Der marmorne Altin-Brunnen vor dem Bürgerzentrum hat Kinder zum Bade geladenen, auch die Mutter lässt sich Füße kühlen.
An den von Festen geschundenen Brühlwiesen vorbei – wie durch ein Wunder hat der Grastisch von den Landeskunstwochen 1995 überlebt – geht’s du die Rems entlang, überquerst auf einem Aluminiumblech-Steg, der jeden Gestaltungswillen vermissen lässt, den als Fischaufstieg geschaffenen Nebenarm der Rems.
An flachen Stellen am Ufer wird er zum Spielen am Wasser genutzt. Höchst attraktiver Anziehungspunkt aber ist der Spielplatz an der Rems. Ahoi mit dem Schiff in neue Länder! Wasser marsch! Irgendein Spielgerät dient offenbar als Pumpe, die aus einem anderen in hohem Bogen Wasser spritzen lässt Das reißt mit den Kindern auch die Väter mit.
Jetzt unterquerst du an der Flutbrücke die mehrspurige Alte Bundesstraße und wirst an vergangenes Hochwasser erinnert: Die Rems führt bei diesen immer häufiger auftretenden „Ereignissen“ jede Menge Schlamm und Sand mit sich, die auf der flachen Unterführung abgelagert werden. Zwar ist dies kein fruchtbarer Nilschlamm, aber da und dort regt sich draus in der Trockenzone unter der Brücke doch erfreuliches Pflanzenleben – ein Fingerzeig, wie totes Land unter Straßenbrücken gestaltet werden könnte.
Rechter Hand erstreckt sich ein Biotop, ein kleiner Urwald schon. Dahinten vermischt sich irgendwo der magersüchtige Kätzenbach mit dem verschlungen angelegten Rems-Nebenarm. Dann die unerwartete Attraktion in der Talaue: Kein noch so teures Kunstwerk kann den zottligen Schottischen Hochlandrindern mit ihren langen, gefährlich aussehenden Hörnern den Rang ablaufen. Keine Angst, sie haben ihre Ruhe weg und sind mit Wiederkäuen beschäftigt.
Bleib jetzt mal stehen, am Birkenhain, wo sich der Weg zum Talauesee vom Remsuferweg scheidet! Hier weitet sich nicht allein der Blick in die großzügig angelegte Talaue – auch die Seele kann ihre Flügel ausbreiten. Sacht wogt das lange Gras der mit Blumen durchsetzten Futterwiese.
Dieses Jahr hat auch hier der Storchnabel, eine Geranium-Art, die Oberhand. In anderen Jahren konnten es auch mal Margeriten sein. Wo gibt es das sonst noch: Landwirtschaftlich genutzte Wiesen mitten in der Stadt, während in der freien Flur Mais mit Kunstdünger hochgetrieben wird.
Linker Hand kommt der Talauesee in Sicht.
Eine Tafel am Boden weist auf die ökologische Schutzzone hin. Richtung Seeplatz wird der See dann zugänglich, eine frisch gemähte Liegewiese hat den ersten Sonnenbeter angelockt.
Still ruht der See, wahrhaftig. Schwimmende Seerosenfelder erinnern an Claude Monets Garten in Giverny. Enten tauchen nach zartem Grün. Keine Schwäne mehr, leider. Sie sind erfolgreich vertrieben worden. Ein Hinweis darauf, wie sensibel die kleine Seenlandschaft ist.
Da drüben sieht du die skulpturalen Steinbänke von Paul Bradley – ein wunderbarer Ort für eine Lesung oder einen kleines Streichkonzert. Allerdings kannst du dich nicht daran erinnern, dass seit der Einweihung im Jahr 2000 jemals dergleichen stattgefunden hätte. Wohl aber an ein lauschiges Sommerabendfest mit der städtischen Galerie.
Was ist denn hier passiert? Eine panzerfeste Brücke aus Beton in Bunkerstärke anstelle der naturnahen Holzbrücke auf dem Weg zur Kneippanlage. Letztere, vom Kneippverein gepflegt, wird an diesem heißen Tag eifrig genutzt. Nun wieder zurück Richtung Rundsporthalle. Vom Seeplatz aus führt ein von einer Doppelreihe Apfelbäume begleiteter Weg mittendurch, entlang eines früheren Remsarms. Hüben und drüben die Futterwiesen, Lichtungen könnte man auch sagen.
„Kapelle für einen sterbenden Baum“ hat Helmut Stromsky seinen Beitrag zur den Landeskunstwochen unter dem Thema „Kultur natürlich“ anno 1995 genannt. Der sterbende Baum heute überlebt, ebenso das Kunstwerk. Zu sehen ist es allerdings – sommers nicht mehr. Die Stadt lässt den Kunstwerken von damals keine Pflege angedeihen. Auch gibt s keinen beschilderten Kunstpfad zu dem Reminiszenzen der wunderbaren Landeskunstwochen.
Der überdachte Luisensteg kommt in Sicht. Mit leichtem Bogen überspannt er die Rems, Brücke und Unterstand bei Regen zugleich – ein Werk des damals Waiblinger Brückenbauers Professor Jörg Peter. Wieder entlang der Rems gehst du weiter. Die hohen Pappeln, ohne die die Rems in Waiblingen nicht denkbar ist, spenden etwas Schatten. Jenseits kommt die Rudergesellschaft ins Blickfeld. Am Anlegesteg warten Drachenboote auf Trainingsbegeisterte.
Auf dem Lande beginnt jetzt eine landschaftliche Durststrecke: der Parkplatz für Rundsporthalle und Freibad, großenteils eine Wüste gleichend. Aber es kommt noch schlimmer: Das Areal unter der B14-Brücke, die unüberseh- und -hörbar über Rems und Talaue führt, wird als Erd-Lager- und –Umschlagplatz genutzt.
Du hast die Schlagworte zur Remstal-Gartenschau 2019 im Ohr: „Das Ziel dieses innovativen Projektes liegt in der nachhaltigen Aufwertung eines Lebensraumes für Natur und Mensch.“ Oder, wie es OB Hesky zu der Präsentation im Oktober 2015 als Ziele formuliert hat: Stärkung des Naturschutzes; Behutsame Entwicklung der Kulturlandschaft, Attraktivierung des Remstals als Erholungsgebiet. Jetzt fragst du dich: Braucht es dazu eine Gartenschau für möglichst viele auswärtiger Besucher? Sind wir Waiblinger es nicht wert, heute schon ohne Wüsteneien zu leben? Die feine Ironie der Waiblinger Stadtplaner: Just an der Bundesstraßenbrücke, wo dringend etwas „aufgewertet“ werden müsste, da enden die Gartenschaupläne. Ernst kann es den Stadtoberen – Verwaltung und Gemeinderat – nicht sein mit dem „Lebensraum für Mensch und Natur“.