Waiblingen hätte es verdient

oder: Die Unfähigkeit zur Bürgerbeteiligung

„L’art pour l’art“ hat Théophile Gautier Mitte des 19 Jahrhunderts geschrieben. Jean Ziegler nimmt dieses Wort in seiner nicht-gehaltenen Festspielrede von 2011 in Salzburg auf und fährt fort: „Die These von der autonomen, von jeder sozialen Realität losgelösten Kunst, schützt die Mächtigen vor ihren eigenen Emotionen und dem eventuell drohenden Sinneswandel.“. Weiter hätte er in dieser Rede ausgeführt: „Das Kapital ist immer und überall und zu allen Zeiten stärker als Kunst“. Fällt einem da nicht umgehend auch die Kunstlichtung in der Waiblinger Talaue ein?

Immer mehr Menschen fühlen sich mit unserer Demokratie nicht mehr in Übereinstimmung und sind unzufrieden. Deshalb wird es immer wichtiger, interessierte Menschen in einer Stadt für einen offenen Meinungsbildungsprozess – auch Bürgerbeteiligung genannt – zu gewinnen. Eine solche Einbindung schafft die Chance, politische Entscheidungsprozesse bürgernäher, transparenter und glaubwürdiger werden zu lassen. Dabei wird gar nicht in Frage gestellt, dass nur gewählte politische Gremien die verbindlichen politischen Entscheidungen zu treffen haben. Wir haben jedoch die Sorge, dass sich immer mehr Bürger entweder von der Politik abwenden oder sich zum Teil neuen, demokratiefeindlichen Parteien und Gruppierung zuwenden.

 

Wir wollen den ernsthaften Dialog

Wer Kritik übt, wird gerne in die Ecke der „ewigen Neinsager“ geschoben. Mit diesem Vorwurf können wir wenig anfangen. Wir haben uns auch in der Vergangenheit immer wieder für ein lebendiges, demokratisches Zusammenleben in unserer Stadt eingesetzt und werden dies auch in Zukunft tun. Wir wollen den ernsthaften, auf Augenhöhe geführten Dialog, auch und gerade über strittige Themen.

Deshalb stellen wir gerade jetzt, kurz vor ultimo, erneut die die so genannte Kunstlichtung in Frage, ein künstlich erzeugtes Gebilde mitten in einer Wiesenlandschaft, die für sich selbst schon wie eine große Lichtung wirkt.

Diese Kunstlichtung soll das Alleinstellungsmerkmal der Remstalgartenschau in Waiblingen werden. Wie ein Mantra wird immer wieder gesagt, dass sie in einer Bürgerbeteiligung entwickelt worden wäre. Stimmt nicht. „Metaplan oder world-café“ ersetzen keine wirkliche Beteiligung, wenn dann die Kärtchen einfach in der Schublade verschwinden. Schon gar nicht mit vielleicht einem Dutzend Beteiligter. Jede ernsthafte Beteiligung von Bürgern setzt die Bereitschaft  voraus, die Dinge auch ganz anders zu regeln als ursprünglich gedacht. Diese Offenheit muss sich Politik erarbeiten.

Zweck einer Bürgerbeteiligung darf es eben nicht sein, Vorhaben nur irgendwie zu legitimieren oder Akzeptanz für das umstrittene Projekt „Kunstlichtung“ zu beschaffen. Genau dies war der Fall. Die Verwaltung hatte die Planung bereits fertig und suchte nur schnelle Akzeptanz, um ihr Vorhaben möglichst reibungslos durchzubringen. Den Bürgern wurde vorgegaukelt, sie hätten mitreden dürfen. Dies und die Wahl des Standortes führten zu kontroversen Diskussionen im Gemeinderat und in der Öffentlichkeit. Bis heute beschränken sich die Befürworter außerhalb des Gemeinderates und der Verwaltung auf wenige Bürger  und Landschaftsplaner. Zahlreiche Bürger und Vertreter des NABU und BUND brachten hingegen gut überlegte und fundierte Argumente gegen diese Kunstlichtung und ihren Standort vor. Niemand wollte sie hören. Sie störten eher. Niemand erkannte die Chance eines Dialogs mit dem Ziel einer besseren Lösung. Zwei weitere Führungen durch die Verwaltung hatten ganz und gar nicht den Charakter von Beteiligung, sondern waren der untaugliche Versuch einer Erklärung der längst gefallenen Entscheidung. Insgesamt fehlte der ernsthafte Versuch, ein Dialogforum für Lösungen mit offenem Ausgang zu schaffen.

 

Wohin steuert unsere Stadtdemokratie?

Auf diesem Hintergrund hat sich eine Entwicklung unserer Stadtdemokratie ergeben, die nachdenklich stimmen muss. In der jüngsten Haushaltsdebatte wurden im Gemeinderat Beschlüsse – auch  gegen die Verwaltung – gefasst, die widersprüchlicher nicht sein könnten und ihre Spuren hinterlassen werden. Dieser Haushalt, der Verdacht drängt sich auf, scheint in Teilen auch eine Abrechnung zwischen Mehrheitskoalition und Verwaltung zu sein – auf dem Rücken der der Bürgerschaft.

Wir sehen in diesem Haushalt 2017 und darüber hinaus  keinen echten, zukunftsweisenden Plan für unsere Stadt Waiblingen, keine Haltung, kein Versprechen an diese Stadt, Zukunft gemeinsam zu gestalten und dafür ein Forum zu schaffen. Gerade die Projekte der Remstalgartenschau, die von allen ja grundsätzlich gewollt wird, hätten so zum Lehrstück für eine bürgernahe und damit nachhaltige und akzeptierte Politik werden können. Waiblingen hätte es verdient.

Es ist höchste Zeit, darüber nachzudenken.

Waiblingen, 31. Januar 2017
Gisela Benkert – Jürgen Blocher – Iris Förster – Dr. Alfred Jencio
Konrad Knöner  – Siegfried Künzel – Klaus Riedel  – Dr. Hansjörg Thomae

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4 Kommentare

  1. Indirekt habe ich den Beitrag des SPD-Gemeinderates am Samstag in der Zeitung so verstanden:
    jetzt haben die Bürger ja wieder die Chance einen Bürgerentscheid anzustrengen.
    Wie schätzt ihr da die Chancen ein?
    Sieglinde Lahm

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    1. Ich bin da sehr skeptisch, was die Erfolgsaussichten angeht, denn es braucht schon eine ganze Menge an Unterschriften und ich fürchte, dass viele Menschen sich für das Thema frühestens dann interessieren, wenn die Bäume antransportiert werden und ersichtlich wird, welches Ausmaß die Lichtung annehmen wird.

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      1. Tun kann man immer etwas. Aber ein Bürgerbegehren oder gar ein Bürgerentscheid scheinen mir nicht realistisch. Wichtig wäre es, das Gespräch mit den einzelnen Gemeinderäten zu suchen, denn die haben ja nun mehrheitlich für die Kunstlichtung entschieden. Nun ist es Aufgabe der Gemeinderäte die Planung und Umsetzung kritisch zu begleiten.

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