Klimaschutz ist meistens Frust ohne Ende- wie motiviert er sich da selbst immer wieder aufs Neue? „Hoffnung heißt Ärmel hochkrempeln“ sagt Dr. Georg Kobiela (oben im Foto) von german watch, einer, der an vorderster Front den Kampf gegen die Erderwärmung aufgenommen hat. im Kulturhaus Schwanen hielt er nun einen einführenden Vortrag bei einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Das Klima retten – aber wie?“. Eingeladen hatten die fünf Klimabündnisse im Remstal – auf dem Podium saßen die Bundestagskandidat*innen.
Vorab hatten wir die Gelegenheit, Dr. Kobiela ein paar Fragen zu stellen.
Herr Kobiela, wie ist Ihre persönliche Geschichte – von der Industrie bis hin nun zu Germanwatch
Physikstudium, anschließend Industriepromotion im Automotive-Bereich und Industrietätigkeit. Ich las (z.T. durch das Thema meiner Forschung bedingt, aber auch darüber hinausgehend) viele Publikationen rund um Atmosphärenprozesse und wie viel fossiler Kohlenstoff im Boden bleiben muss („unburnable carbon“). Zugleich nahm ich durchaus persönlichen Idealismus bei meinen Kolleg:innen wahr, allerdings auch Ratlosigkeit, wie überhaupt Veränderungen passieren könnten. Und die Macht des VDA wurde mir sehr präsent.
Daraus entschied ich mich, aus der so sicher wirkenden Festanstellung heraus zu gehen und nochmal eine Mischung aus Philosophie, Politik und Volkswirtschaft zu studieren. Parallel dazu begann ich meine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.
Erkenntnisse umzusetzen und Veränderungen zu ermöglichen, dabei auf breiten gesellschaftlichen Konsens zu setzen ist mir wichtig. Als mir diesen Frühsommer eine Stelle bei Germanwatch angeboten wurde, verließ ich dafür zugleich begeistert wie auch schweren Herzens das Wuppertal Institut und arbeite nun deutlich politiknäher als Senior Advisor für Industrietransformation daran, dass Umweltverbände, politische Akteure und Unternehmen hier konstruktiv zusammenkommen und erforderliche Veränderungen passieren.
Das Wuppertaler Institut ist sehr bekannt – was waren die Schwerpunkte Ihrer Arbeit dort?
Vor allem die Transformatonsprozesse der energieintensiven Grundstoffindustrie (Stahl, Zement und Chemie) inklusive Technologieanalysen und ökonomischen Betrachtungen. Darüber hinaus auch konkrete Umsetzungsstrategien von Kommunen und Unternehmen, landwirtschaftliche Herausforderungen und die Energiewende im ganz breiten Bild.
Sie haben für FFF eine Studie erstellt „CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze“. Was ist deren Ergebnis?
Wir haben aufgezeigt, welche Veränderungen in Deutschland zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze erforderlich sind. Dazu müssen wir in einem sehr knappen CO2-Budget bleiben und bis ca. 2035 CO2-neutral sein. Die kommenden zehn Jahre sind absolut entscheidend, und damit besonders die jetzt kommende Legislaturperiode. In der Studie fokussierten wir auf die großen CO2-emittierenden Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr und Gebäudewärme. In allen diesen Sektoren sind die Herausforderungen enorm, aber bei entsprechender Priorisierung und sehr konsequenter Umsetzung prinzipiell zu bewältigen. Es kommt hier weniger auf die technologischen Hürden an, sondern auf die politische und gesellschaftliche Bereitschaft, das jetzt umfassend und tiefgreifend anzugehen und auch einzufordern. Nichts tun wird auf alle Fälle sehr viel teurer als dieser Pfad. Die Transformation dagegen kann auch sehr positiv für das Land sein, wenn entsprechend viele Gruppen einbezogen und beteiligt werden.
Glauben Sie, dass die jungen Menschen ernst genug genommen werden? Hat die Politik auf diese Studie reagiert?
Es könnte immer noch auf alle Fälle sehr viel mehr sein. Die Klimakrise und die damit verknüpften Krisen sind schon jetzt die weltweit dominierende Herausforderung, und das wird noch viel heftiger werden. Wer behauptet, die Klimakrise rundum verstanden zu haben, hat sie meistens eben nicht verstanden. Und gerade in den mittleren und älteren Generationen ab ca. 35 Jahren bis rauf ist noch viel zu viel Verdrängung da. Und zu wenig Verantwortung für die Jüngeren. Denen muss noch viel mehr Gehör geschenkt werden, und diese dürfen sich nicht stumm halten lassen.
Den direkten Effekt der Studie kann ich schwer einschätzen. Sie hat den Diskurs aber sicherlich mit geprägt. Fakt ist aber, dass das Bundesverfassungsgericht kürzlich das alte Klimaschutzgesetz der Bundesregierung für ungenügend erklärt hat, und sich dabei explizit auf den Schutz der Freiheit von Menschen in künftigen Jahrzehnten berufen hat. Auch das neue Gesetz reicht an sich noch nicht bei einer fairen globalen Verteilung des verbleibenden globalen Treihausgasbudgets. Aber es geht in die richtige Richtung.
Wie kann sich die junge Generation, die ja von den Folgen des Klimawandels viel stärker betroffen sein wird, ausreichend Gehör verschaffen?
Während der Corona-Pandemie haben wir erlebt, dass sich die Generationen auseinanderleben. Großeltern und Enkel haben sich nicht mehr ausgetauscht. Die Gesellschaft neigt zur Vereinzelung, das Vereinsleben hat im letzten Jahr stark gelitten. Ein Austausch der Generationen untereinander ist dringend notwendig, damit die Äteren sich der Verantwortung für die nachfolgenden Generationen wieder bewusst wird. Wenn man das Wahlalter auf 16 absenkt, nimmt man die Jugend auch ernst.
Was muss die neue Bundesregierung in Ihren Augen zuallererst angehen?
Welche Schwerpunkte sehen Sie als die wesentlichsten an?
Da empfehle ich unter anderem die Kurzfassung mit Schlüsselbotschaften aus der besagten Studie:
https://wupperinst.org/p/wi/p/s/pd/924/%20bzw.%20https://epub.wupperinst.org/frontdoor/index/index/docId/7606
Das kommende Jahrzehnt ist entscheidend, und schon im 100-Tage-Programm muss die kommende Regierung engagiert loslegen.
Der Ausbau der Erneuerbaren muss massiv beschleunigt werden, um einen Faktor von mindestens 3.
Gerade Photovoltaik (auf ziemlich allen Dächern und teilweise auch als Agri-PV), sowie Wind an Land und offshore müssen vorankommen.
Und der Kohleausstieg muss sehr viel früher kommen, spätestens 2030 muss weitgehend Schluss sein. Das kann über unterschiedliche Wege erfolgen, und einige Werkzeuge werden da auch schon eingesetzt, gerade auch von der europäischen Ebene. Dass der Kohleausstieg tatsächlich früher kommen wird, muss natürlich auch ehrlich kommuniziert werden, gerade auch um den Regionen wie der Lausitz einen verlässliche Perspektive zu liefern. Davor scheuen manche Parteien derzeit aber zurück.
Und wo ist die viel propagierte Mobilitätswende?
Die Mobilitätswende wurde bislang nahezu vollständig verschlafen, da muss viel geschehen, unter anderem massiver Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der Rad- und Fußwege, Stadtentwicklung für kurze Wege, und ein zeitnaher Phase-Out für Verbrennungsmotoren. Da sind viele europäischen Nachbarländer schon viel weiter.
Und die Gebäudesanierung ist ein Riesenthema für sich, das zu wenig Beachtung erfährt unter anderem muss das Aus für den Neueinbau fossiler Heizungen schnell erfolgen, z.B. 2022.
Besteht bei all dem die Gefahr, manche Teile der Bevölkerung über die Gebühr zu belasten?
Bei alledem ist freilich darauf zu achten, dass es sozial gerecht zu geht, und kleine Einkommen nicht über Gebühr belastet werden. Sonst wird das keine gesamtgesellschaftliche Erfolgsgeschichte.
Daneben sind auch internationale Lösungen anzustreben, wie z.B. die Etablierung von Klimaclubs damit Klimaschutz auch in einer globalen Wirtschaftsweise funktioniert.
Welche Unterschiede sehen Sie in den Parteiprogrammen?
Da gibt es sehr große Unterschiede, auch wenn keines der Programme wirklich ausreicht. Das bedeutet auch, dass Klimaschutz auch nach der Wahl kritisch begleitet und eingefordert werden muss, damit wir auch einen guten Pfad kommen. Das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) hat kürzlich eine sehr gute und umfassende Analyse der Wahlprogramme herausgegeben.
https://diw-econ.de/publikationen/wie-viel-klimaneutralitaet-steckt-in-den-wahlprogrammen/
Darin wird deutlich, dass vor allem die Konzepte von FDP, CDU und SPD große Lücken in der Ambition aufweisen. Die Linke und die Grünen sind deutlich ambitionierter, aber auch dort ist noch Luft nach oben, zudem untescheiden sie sich darin, wie konkret die Konzepte hinischtlich der Werkzeuge werden.
Wie sehen Sie die Klimapolitik auf europäischer Ebene – ambitioniert oder aussichtslos?
Die EU setzt hier sehr wichtige Impulse, und in Deutschland wird die europäische Ebene viel zu wenig beachtet. Auch dort müsste es zwar noch schneller gehen, das ist aber nicht der EU vorzuwerfen, sondern eher einzelnen Ländern darin. Auch Deutschland trat da zuweilen als Bremser auf. Die kürzliche Verschärfung der EU-Klimaziele für 2030 (minus 55%) war ein sehr wichtiger Schritt, und daran, dass das große Klimaschutzpaket „Fit for 55“ der EU ein Erfolg wird, ist natürlich dann auch wieder die deutsche Politik beteiligt.
Glauben Sie persönlich, dass das 1,5 Grad Ziel noch zu erreichen ist?
Hoffnung bedeutet Ärmel hochkrempeln. Solange wir die Grenze noch nicht gerissen haben, bin ich Optimist, vielleicht auch Zweckoptimist. Es kann alerdings auch durchaus sein, dass diese Grenze noch innerhalb meiner Erwerbszeit gerissen wird. Nur auch dann heißt es, um jedes Zehntelgrad zu kämpfen und möglichst schnell wieder unter die Grenze zu kommen.
Sie arbeiten jetzt für Germanwatch als Referent für Industrietransformation und vernetzen für den erforderlichen Umbau relevante Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und aus unterschiedlichen politischen Lagern.
Unternehmen wie Shell, Exxon oder RWE wissen seit Jahrzehnten über die Auswirkungen ihrer umwelt- und klimazerstörenden Arbeitsweise Bescheid. Ist aus Ihrer Sicht in der Industrie ein echtes Umdenken da? Oder nur
Greenwashing?
Die Industrie und die vielen großen und kleineren Unternehmen können nicht pauschal über einen Kamm geschoren werden. Es gibt da engagierte, wirklich vorangehende Unternehmen, und auch viele Unternehmen fordern sind weiter als die politischen Rahmenbedingungen. Aber es gibt natürlich auch Bremser. Manche wie es bei Exxon Mobil seit den 80 Jahren ist, versuchten sehr lange Zeit die Klimawissenschaft zu diskreditieren, und davon sind immer noch Auswirkungen zu spüren. Andere bremsen, weil sie die eigentlich vorhandenen Perspektiven nicht sehen oder sie noch entwickelt werden müssen. Diesen müssen wir Brücken bauen und sie ins Boot holen. Aber die meisten Technologien sind vorhanden, da kommt es auf den Rahmen und die Umsetzung an.
Was hat Sie persönlich im bisherigen Wahlkampf aus Klimasicht besonders gefreut und was besonders geärgert?
Immerhin wird langsam begriffen, wie existentiell das Thema Klima ist. Die älteren Generationen verweigern sich der Erkenntnis aber noch zu sehr, hier bahnt sich ein Generationenkonflikt an. Der Wahlkampf war zudem oft unsachlich und hat sich allzu oft in Diskreditierung erschöpft anstatt mit positiven, lösungsorientierten Ansätzen im Wettbewerb zu sein. Inhalte brauchen einen höheren Stellenwert, unter anderem auch in der medialen Begleitung, da lassen auch Zeitungen etc. die Parteien allzu leicht vom Haken.
Und Klimaschutz wird allzu sehr immer noch nur von der Kostenseite betrachtet, das merkte man auch an den Journalisten-Fragen in einigen Gesprächsformaten. Sowohl die Chancen der Transformation als auch die gravierenden Konsequenzen unzureichender Klimaschutzpolitik haben da wenig Raum eingenommen.
Was machen sie mit all dem Frust, den sie erleben?
Hoffnung heißt Ärmelhochkrempeln. Die Politik hinkt immer der Gesellschaft hinterher. Da geht der Wandel viel zu langsam. Zwischen den Wahlen allerding prägen die gesellschaftlichen Diskussionen den Kurs. Im Grunde haben wir derzeit einen Mentalitätsveränderungsstau.
Klimaforscher werden oft als wirtschaftlich inkompetent dargestellt, Motto: alles gut gemeint, aber nicht bezahlbar. Die Frage ist aber: wie viele Katastrophen a la Ahrtal kann sich ein Staat leisten? Fachleute haben errechnet, dass künftig weit über 500 Millionen jährlich zur Schadensbegrenzung aufgewendet werden müssen, das sind 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Warum ist Klimaschutz
angeblich zu teuer, aber Milliardenhilfen für fossile Energien (Lufthansa, tui) sind okay?
Wirtschaftlich herrscht in diesem Land immer noch ein sehr konservativer Geist – auf der anderen Seite sind viele Unternehmensverbände da schon weiter. Da stecken die Chancen und Perspektiven drin. Und es gibt durchaus Wirtschaftswissenschaftler:innen, die im Bereich des Klimaschutzes up-to-date sind. Denken Sie z.B. an Claudia Kemfert.
Waiblingen bekommt ein neues Stadtoberhaupt- wie sieht das Anforderungsprofil aus in diesen Zeiten?
Es gilt ja irgendwie das schwäbische Dogma, dass er, dass sie am besten von der Verwaltungslaufbahn her kommen muss. Das ist ja nicht schlecht, aber es braucht einen breiteren Blick, um wirklich konzeptionell an die Aufgabe ranzugehen.
Ein OB sollte eine Art Überbau bilden- wo will ich hinkommen, welche Schritte braucht es dazu. Und man muss auch Fehler eingestehen können, Brückenbauer sein, auch Visionär- und man muss auch eigene Macht abgeben können.
Die Fridays sind ja gerade eine Art Belagerer, aber die Jungen müssen mehr Druck machen, eine Verantwortungsperspektive einnehmen, Beteiligungsformate einführen, ein Leitbild festschreiben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Im Gespräch mit Georg Kobiela waren Sabine Zeiner, Iris Förster und Gisela Benkert.
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Hier kann man die Podiumsdiskussion in voller Länge anschauen: https://www.youtube.com/watch?v=NwbShGwcjw4

Und das schreibt die WKZ über die Veranstaltung: https://www.zvw.de/rems-murr-kreis/bundestagswahl-im-rems-murr-kreis-klimawandel-erderhitzung-tut-endlich-was_arid-402968