Es tut sich was am Mühlkanal. Eine der idyllischten Ecken der Waiblinger Altstadt steckt schon seit Wochen im Stahlkorsett. Der Karzerturm unterhalb der Nikolauskirche wird generalsaniert, vom Keller bis zum Dach schick gemacht, nicht zuletzt für die Remstal Gartenschau 2019.
Karzerturm am Mühlkanal mit Baugerüst
Vorstand und Beirat des Waiblinger Heimatsvereins durften sich dieser Tage bei einer Baustellenführung durch die untere Denkmalschutzbehörde vom Baufortschritt überzeugen. Der Turm, im malerischen Ensemble mit Mauergang, Kapelltor und Apothekergarten stadtbildprägender Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung an der Rems, ist eines der ältesten heute noch erhaltenen baulichen Zeugnisse Waiblinger Stadtgeschichte. Michael Gunser, Leiter des Waiblinger Hochbauamts und Vertreter der Unteren Denkmalschutzbehörde in Waiblingen, der es sich in seiner Funktion als Beirat des Heimatvereins nicht nehmen ließ, persönlich über die Baustelle zu führen, bezeichnet das historische Gemäuer gar als einen „für viele Waiblinger identitätsstiftendenden Teil der Altstadt“.
M. Gunser, Fachbereichsleiter Hochbau / Untere Denkmalschutzbehörde; Foto: Wiedenhöfer
Die Laube auf dem Turm, lauschiger Platz mit Traumblick aufs Grün der Erleninsel, wird von maroden Holzteilen befreit und ab Frühjahr 2018 in neuem Glanz erscheinen, ohne den Zauber der, immerhin bereits aus der Biedermeierzeit stammenden, Gartenlaubenromantik zu verlieren.
Die Laube auf dem Karzer wird ausgebessert; Foto: Wiedenhöfer
Einen Stock tiefer, im eigentlichen ‚Karzer‘, dem über den Wehrgang der Stadtmauer zugänglichen Turmzimmrt, hauste von je her und haust auch zukünftig der berühmt-berüchtigte Totenkopf. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll sich dieser allerdings während der Bauarbeiten einen ruhigeren Teil der Stadtmauer als Übergangsquartier gesucht haben.
Außenmauer mit Schießscharte des Karzers; Foto Wiedenhöfer
Tatsächlich bringen die Bauarbeiten insbesondere im unteren Teil, dort, wo am Fuß der mächtigen Stadtmauer der Mühlkanal fließt, überraschendes zu Tage. Offensichtlich diente der Turm einst als befestigter Zugang zum Wasser. Zugemauerte Torbögen lassen vermuten, dass hier früher eine Art „Zwinger“, ein durch eine Schutzmauer gesicherter Weg, aus der Stadt heraus führte.
Zugemauerter Durchgang Richtung Bädertörle im Turmsockel; Foto: Wiedenhöfer
Möglicherweise diente der Bereich am großen Mühlrad hinter der Bürgermühle, die an dieser Stelle bereits seit seit dem 13. Jahrhundert urkundlich belegt ist, als Anlande- und Umschlagsplatz und stand vielleicht sogar in baulicher Verbindung mit dem angrenzenden ehemaligen Schlossbezirk.
Das Mühlrad der Bürgermühle; Foto: Wiedenhöfer
Platz zwischen Mühlengebäude, Mühlrad und Karzerturm; Foto: Wiedenhöfer
So könnte auch ein vermuteter Zugang zum Mühlkanal aus der mächtigen verschachtelten Kelleranlage unter dem alten Dekanat und dem Nachbargebäude in der Kurzen Straße ein Hinweis darauf sein, dass der Bereich zwischen der Dreitoranlage unterhalb der Nikolauskirche und dem Bädertörle einst den direkten Zugang von der Altstadt zum Wasser ermöglichte.
Dass der Mühlkanal in diesem Bereich vor noch gar nicht allzulanger Zeit komplett anders aussah, belegt ein Foto aus den 1930er Jahren: am Fuß des Karzerturm wuchsen damals Weinstöcke. Wäre doch ein schönes Projekt für die Remstal Gartenschau 2019, diesen historischen Weinberg an der Stadtmauer wiederzubeleben! Wir bleiben dran …
Historische Aufnahme des Karzerturms in den 1930er Jahren mit Weinbepflanzung; Foto: Archiv Heimatverein Waiblingen e.V.
Im Rahmen des Projekts „Natur schafft Kunst“ wurde 1995 die „Kapelle für einen sterbenden Baum“ in der Talaue geschaffen. Über zwanzig Jahre hat die Natur also weiterhin Kunst geschaffen und – entsprechend der jeweiligen Jahreszeit – erhalten. Ganz im Sinne des Projektes.
Die Kapelle für einen sterbenden Baum im Juli 2016 Fotos: Jürgen Blocher
Nagte nun wirklich der Zahn der Zeit an der Kapelle? War sie der Kunstlichtung im Weg? Wann und wo wurde von einer „Integration“ der Kapelle in die Kunstlichtung gesprochen bzw. geschrieben? Fragen, auf die es kurze, klare Antworten gibt.
Bis heute hatte es die Natur geschafft, das Objekt zu erhalten. Die Bilder aus dem Sommer 2016 zeigen diese wunderbare Kraft der Natur. Je nach Jahreszeit sah die Kapelle anders aus. Ganz nach dem Motto, „Natur schafft Kunst“. Von Integration in die Kunstlichtung war meines Wissens nie die Rede. Führte erst die Verschiebung der Kunstlichtung zur Kollision? Ohne genaue Kenntnisse entsorgte dann die Gartenbaufirma die „Kapelle“. Sie war nicht einsturzgefährdet. Im Gegenteil. Die Vegetation hätte auch in diesem Jahr und in den folgenden Jahren für ihr Leben gesorgt.
Ingo von Pollern hat Recht, wenn er es so kommentiert: “Das hätte nicht passieren dürfen“. Auch der Ärger von Alfonso Fazio ist nachvollziehbar. Die Kritik an Kunstlichtung und Vorgehensweise wird bleiben.
Doch nun hat sich wunderbar gefügt, dass dem „Künstler des Vergänglichen“ offenbar gleich wieder ein neuer Auftrag zuteil wird. Da können wir doch alle zufrieden und beruhigt sein. Ganz nach dem Motto: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!“.
Die Bauarbeiten in der Talaue für die Kunstlichtung im Rahmen der Remstalgartenschau haben begonnen. Da mein Balkon direkt über dem Fußweg am Remsufer gegenüber der Baustelle liegt, konnte ich Zeugin der Kommentare einiger Spaziergänger/- innen werden. So sagte eine ältere Dame: „Jo, weils soo saudeier wird, hods hald für schee nemme glangt!“ Ihre Begleiterin sagte dazu: „Genau, ond weil se bei dr Stadt glei gwist hend, dass des a Geldgrab geid, sieht‘s au aus wie a Friedhof.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen lauschte ich den Ausführungen einer jungen Mutter mit ihrer Tochter. Sie erklärte, dass hier im letzten Krieg ganz viele Leute gestorben seien bei einer großen Schlacht, und damit man die nicht vergisst bekommen die jetzt auch einen Friedhof wie beim Opa. Ich fragte mich, ob ich da vielleicht etwas in Geschichte verpasst habe, als zwei ältere Herren vorbeigingen und der eine sagte: „Wenn de do a Grab kaufschd, ko dr Todagräbr dr glei no an Taucherazug nufschwätza, em Fall dass Hochwasser kommt.“ Ich musste mich sehr anstrengen, um nicht laut loszuprusten. Zwei Joggerinnen mit ihren Hunden witzelten, Blinkhalsbändchen um einen der neuen Bäume machen zu müssen, damit die sich die Hunde beim Beinchenheben nicht verlaufen.
Zugegeben, das alte schwäbische Sprichwort mag manchmal stimmen und man soll einen Ochsen kein unfertiges Werk sehen lassen, aber für mich ist die Kunstlichtung definitiv keine Kunst und kann gerne wieder weg!
Kunst mag im Auge des Betrachters liegen, aber im vorliegenden ward der Kunstsinn vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen. Hätten die Planer sich etwas in der Kunst gebildet, der sie hier eine Stätte schaffen wollten, wäre eine simple Wildblumensamenmischung auszubringen ein cleverer Kunstgriff gewesen, mit dem Ergebnis, dass sich den Besuchern der Gartenschau eine Landschaft geboten hätte, wie selbst ein Claude Monet sie nicht schöner hätte malen können. Aber das hätte die Kunst der Erkenntnis erfordert, dass schön nicht teuer sein muss und dass letzten Endes nichts so schön sein kann wie die Natur, wenn der Mensch es unterlässt sie zu verschlimmbessern. Doch leider wurde nicht der Entwurf zur Kunstlichtung zu Grabe getragen, sondern auf dem neuen Talauenfriedhof unsere Steuergelder mitsamt dem Kunstgeist, der Vernunft und der schwäbischen Weisheit. Es bleibt nur die Hoffnung, dass die Natur mit schöpferischer Kunst ihre Talaue zurückerobert – em Fall dass a Hochwasser kommt.
Die für die Gartenschau 2019 angedachte Kunstlichtung entpuppt sich immer wieder als riesengroßes Ärgernis. Die Ideen der Planer haben wenig mit der Realität und natürlichem Baumwuchs zu tun. Im Gegenteil: Es geht darum, mitten auf einer freien Wiese Bäume zu pflanzen, um eine Lichtung zu erzeugen. Schilda liegt offensichtlich ganz nah bei Waiblingen.
Bruno Lorinser vom NABU Waiblingen verdeutlicht auf einer Zusammenstellung, was es heißt, 225 Silberweiden auf die vorhandene Fläche zu verteilen.
Die im Plan hellgrün markierte Fläche
steht für die Kunstlichtung theoretisch zur Verfügung.
Sie umfasst ohne die Streuobstbäume,
die auf die ehemalige Remsschlinge gepflanzt wurden,
eine Fläche von 2,86 ha.
Nach den Ideen der Gartenschau-Planer wird die Wiese mit Bäumen bepflanzt, in deren Mitte eine Lichtung entsteht, die für kulturelle Events genutzt werden kann.
Zur Pflanzung vorgesehen sind hier Silberweiden.
Allerdings nicht in ihrer natürlichen buschigen Wuchsform sondern als Hochstammbäume mit hohem pflegerischen Aufwand.
Das Ergebnis sieht dann im Plan so aus:
Allerdings hat eine ausgewachsene Silberweide einen Durchmesser von 14-15 m, das macht einen Flächenbedarf pro Baum von 153 m² (abgerundet).
Bei 225 Bäumen bräuchte man also mindestens eine Fläche von 3,44 ha. Das unten stehende Bild verdeutlicht dies.
Wir bekommen also in den folgenden Jahren keinesfalls einen lichtdurchfluteten Baumring, wie die oben stehende Skizze glauben machen will, sondern einen dichten Wald anstelle einer schönen weiten Wiese.
Fazit: Die Ideen der Gartenschauplaner liegen fernab jeglicher Realität und erfordern zudem in den Folgejahren einen hohen pflegerischen Aufwand.
Ich frage mich: Ist dieser Wahnsinn noch zu stoppen? Eine Möglichkeit dazu bietet immerhin die Online-Petition, zu der dieser Link führt:
Dieser Artikel ist in der Stuttgarter Zeitung am 1. August 2016 erschienen.
Die Remstal-Gartenschau 2019 sollte eine ökologische werden. Tatsächlich aber belasten nach Ansicht des Naturschützers Manfred Steinmetz viele der Projekte die letzten Refugien von Mensch und Tier.
Manfred Steinmetz an der Erleninsel in Waiblingen, wo die Remsterrassen für die Remstal-Gartenschau entstehen sollen. Foto: Gottfried Stoppel
Rems-Murr-Kreis – Die Rems ökologisch aufzuwerten war einst ein Grundgedanke der Remstal-Gartenschau. Davon ist inzwischen kaum noch die Rede. Der Naturschützer Manfred Steinmetz beklagt, viele Kommunen ignorierten die Vorgaben des Naturschutzes.
Herr Steinmetz – sind Sie ein Gegner von Gartenschauen?
Nein, ich habe kein Problem mit einer Gartenschau, auch nicht mit einer auf interkommunaler Ebene, die natürlich anders ablaufen muss, als eine in einer einzelnen Kommune mit einem Zaun drumherum.
Was stört Sie an der Remstal-Gartenschau?
Das Konzept. Die bisherigen Gartenschauen lagen im Siedlungsbereich. Das Ziel war immer Nachhaltigkeit, damit auch nach Ende der Gartenschau etwas Positives für die Bürger übrig bleibt. Defizite im innerstädtischen Bereich sollten beseitigt werden, beispielsweise indem man Grünanlagen anlegte oder sanierte und so zumindest eine kleine grüne Lunge zurück bleibt, wenn alles vorbei ist. Jetzt, bei der Gartenschau mit 16 Kommunen, geht man raus „in die Natur“ und belastet die letzten Refugien von Mensch und Tier mit Events, „Leuchtturmprojekten von landesweiter Ausstrahlungskraft“ und „Paukenschlägen“. Da darf man schon die Frage stellen, wie sinnvoll es ist, städtische Belastungen und Zumutungen in die Erholungsräume zu übertragen anstatt deren Qualitäten aufzunehmen und sensibel zu entwickeln.
Die Rems sollte besser erlebbar werden…
Eine gute Idee, doch was bedeutet das konkret? Man hat die Rems als verbindendes Element der 16 Kommunen gewählt, also muss an der Rems nun auch etwas laufen. So ist es immer noch politischer Wille, auf der Rems Kanuverkehr zu etablieren. Dazu braucht es Ein- und Ausstiegsstellen samt Zufahrtswegen, Bootsumtragestrecken an Wehren, Rastplätze, und vor allem auch einen gewissen Wasserstand – und der ist an vielen Stellen nicht vorhanden. Andererseits schränken Uferbiotope, Naturschutzgebiete sowie Artenschutzvorgaben die Befahrung ein. Bevor man also solche Aktivitäten propagiert und dafür Fördermittel bereitstellt, sollte man sich ihrer Realisierung sicher sein. Wir vom Landesnaturschutzverband (LNV) haben Vertreter des Deutschen Kanuverbandes eingeladen und um eine Einschätzung gebeten. Das Urteil lautete: Kaum geeignet wegen langer, nicht befahrbarer Strecken und wegen des Kanalcharakters nicht attraktiv.
Eigentlich war es doch ein Ziel, die Rems ökologisch aufzuwerten. Es war von der Durchgängigkeit der Rems die Rede . . .
. . .die man lieber als Durchgängigkeit für den Bootsverkehr interpretiert. Denn vom ursprünglichen Ziel ist fast nichts übrig geblieben, obwohl die ökologische Durchgängigkeit ein sinnvolles Projekt wäre für die Lebewesen im Fluss. Zwar soll bei Winterbach eine Renaturierung stattfinden, doch sie ist nicht dem Gedanken der Gewässerökologie geschuldet, sondern mangels Retentionsraum den Bauwünschen der Gemeinde. Wenn man die Rems aufwerten will, muss man den Kanal beseitigen, Platz schaffen, indem man die Deiche rückverlegt und beispielsweise Laichplätze für Fische schaffen. Aber das geht nicht im Zuge einer Gartenschau, das braucht eine längere Planung. Man muss dazu ja Grundstücke ankaufen und nicht zuletzt den Hochwasserschutz berücksichtigen.
Wie gehen die Kommunen mit dem Thema Naturschutz um?
Dazu fällt mir Folgendes ein: Mir ist 2013 bei einem Besuch auf der Tourismus-Messe CMT aufgefallen, dass im Rahmen der Veranstaltung RemsTotal, welche die interkommunale Gartenschau ja vorbereiten soll, auch eine „Pedelec-Tour mit Busbegleitung durch ein romantisches Naturschutzgebiet“ angeboten wurde. Dies konnte nur das Gebiet „Unteres Remstal“ zwischen Waiblingen und Remseck sein. Ich habe die Veranstalter angerufen und darauf hingewiesen, dass man in einem Naturschutzgebiet nicht einfach Massenveranstaltungen abhalten kann. Dort ist man aus allen Wolken gefallen: Offenbar hatte keine der 16 Kommunen es für nötig empfunden, die Projektleiterin auf mögliche Restriktionen aufmerksam zu machen.
Sie kritisieren, dass auch die Naturschutzverbände nur ungenügend und zu spät über die Gartenschau-Pläne informiert werden.
Es ist häufig so, dass amtlicher und privater Natur- und Landschaftsschutz vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Dem Landratsamt etwa müssten schon jetzt Realisierungsanträge vorliegen, denn botanische oder artenschutzrelevante Untersuchungen benötigen oft eine ganze Vegetationsperiode, und dann könnte es knapp werden für die Umsetzungsmaßnahmen, die ja spätestens Ende 2018 fertig sein sollten.
Was ist da von Anfang an schiefgelaufen?
Der Verband Region Stuttgart hat Fluss-Masterpläne aufgestellt – aus solch einem wurde die Idee der Remstal-Gartenschau entwickelt. Dann wurden im Windhundverfahren Finanzmittel ohne irgendwelche Auflagen zur Verfügung gestellt. Die Gemeinden haben sofort Projekte entwickelt und natürlich zugegriffen, ohne sich um naturschutzrechtliche Vorgaben zu kümmern. Inzwischen gibt es eine Remstal-Gartenschau-Gesellschaft. Sie informiert uns vom LNV zwar ab und zu, nachdem wir darauf gedrängt haben, aber sie weist jegliche inhaltliche Verantwortung für Projekte von sich und sagt, die Kommunen seien zuständig. Die verweisen auf den Gemeinderat und dessen Beschlüsse. Wenn man nachhakt, etwa beim Thema Wassersport, heißt es: Das machen die Vereine. Unter dem Strich läuft es so, dass jeder sagt, der andere sei zuständig. Am Ende bleibt es an den Kleinen hängen, die baden es jetzt aus.
Mit Kritik an der Remstal-Gartenschau macht man sich nicht gerade beliebt. ..
Aber die Kommunen wissen doch, wo ihre schützenswerten Flächen sind! Doch da wird lustig drauflos geplant, jede Gemeinde plant andere naturbelastende Highlights, und wenn aus den Projekten nichts wird, dann ist der Naturschutz der Böse.
Von manchem hat man sich ja verabschiedet.
Ja, das Naturschutzgebiet Unteres Remstal, ein Fauna-Flora-Habitat-Gebiet und Europäisches Vogelschutzgebiet, ist für den Wassersport nun hoffentlich tabu: Auf dem Wasser Kanufahrer, links und rechts davon Radfahrer und Fußgänger – wo bliebe da die Ausweichmöglichkeit für Eisvogel, Gänsesänger und andere seltene Vögel?
Nennen Sie doch bitte ein Projekt, das in Ihren Augen keinen Sinn macht?
Nehmen wir die stillgelegte Kläranlage im Weidachtal bei Fellbach-Oeffingen, die in einem Landschaftsschutzgebiet und beliebten Naherholungsgebiet liegt – übrigens weit entfernt vom Remstal. Die Anlage in diesem Waldtälchen hätte man abreißen und renaturieren können, das wäre ein nachhaltiges Erholungsprojekt in Siedlungsnähe gewesen. Schließlich sind die Kommunen einst angetreten, eine ökologische Gartenschau zu machen. Stattdessen werden die völlig maroden Bauten knallrot angestrichen und es soll Klang- und figürliche Kunstinstallationen „an diesem verwunschen Ort“ (Projektzitat) geben. Eine Ausstellung soll überdies zeigen, wie schön das Tälchen ohne die früheren Eingriffe war. In meinen Augen ist das Geldverschwendung; für einen Bruchteil der Mittel hätte man das Ganze naturnah und erholungsfreundlich aufwerten können.
Was halten Sie vom Waiblinger Projekt einer „Kunstlichtung“, bei dem rund 250 Bäume auf eine Wiesenfläche gepflanzt werden?
Diese Wiese hat eine eigene landschaftliche Qualität, man erlebt förmlich beim Heraustreten die befreiende Weite der Talaue. Wer die Wiese zupflanzen will, hat den Genius Loci nicht erfasst. Das ist ein Phänomen, das ich bei der Gartenschauplanung fast überall vermisse: Die sensible Entwicklung aus dem Bestand heraus und eine offensive Beteiligung der Bürger an ihrer künftigen Natur- und Kulturlandschaft.
Was würden Sie stattdessen vorschlagen?
Die Wiese würde so zertrampelt und zerstört. Aus naturschutzfachlicher Sicht entspricht sie vielleicht noch nicht ganz einer jener wertvollen, immer seltener werdenden blumenbunten mageren Flachland-Mähwiesen, aber durch ein geschicktes Mahdregime könnte man sie dahingehend entwickeln und sicher weiter aufwerten. Je blütenreicher die Wiese, desto mehr Insekten finden sich ein, die wiederum zu mehr Vögeln führen. Solch eine Wirkungskette kann man doch darstellen auf Tafeln und so die Gartenschaubesucher darauf hinweisen, was dort alles wächst und blüht, kreucht und fleucht.
Gibt es Projekte, die Sie gut finden?
Natürlich. Remseck hat nach einem anfangs rücksichtslosen Auftreten unter neuer weiblicher Leitung in Bürgerveranstaltungen einfühlsame Projekte erarbeitet. Auch Urbach hat sich vom Skywalk im Naturschutzgebiet „Bergsturz am Kirchsteig“ verabschiedet und gemeinsam haben wir eine Stelle für eine die Landschaft weniger belastende Aussichtsplattform, und zwar im Naturschutzgebiet, gefunden. Auch das geplante Haus der Umwelt im ehemaligen Bundeswehr-Depot bei Eselshalden ist ein sinnvolles Projekt, allerdings liegt es weit ab, man muss mit dem Auto hin und das ist nicht ideal. Viele Projekte sind gut gemeint, aber nicht wirklich alltagstauglich.
Ein Spaziergang durch Altstadt und Talaue. Grün bis ans Herz hinan.
von Jürgen Blocher
„Der Domplatz in Florenz ist mir nichts dagegen“. Soweit wie Hermann Hesse auf seiner Nagold-Brücke in Calw willst Du nicht gehen.
Aber der Platz beim Herbergsbrunnen mit dem feingliedrigen Fachwerk als Hintergrund, der südlich anmutende Marktplatz mit seinen Straßencafés, die Fluchten unter dem Alten Rathaus oder der Blick in Hinterhöfe, ja die ganze Anlage der Altstadt mit ihren engen Gassen, die sich immer wieder zu kleinen Plätzen weiten – das alles macht die Stadt zur Heimat, eingebettet ins Remstal und dank Talaue grün bis ans Herz hinan. Wo gibt es das sonst noch! Waiblingen zum Wohlfühlen.
Allerdings: Die Vermarktung der Stadt kratzt bedenklich an ihrem Charme. Der jüngste Akt naht: die Remstalgartenschau 2019.
Die Stadt, genauer Stadtverwaltung samt Gemeinderat, macht es einem nicht leicht. Ohne Werbeschilder ist offenbar kein Geschäft mehr zu machen, und die „Events“ – wie ausuferndes und kommerzialisiertes Altstadtfest samt Staufer-Spektakel mit Folterkammer, wie „Waiblingen leuchtet“, das vom kulturell geprägten Abend zum grellen Remmidemmi verkommen ist, wie jüngst die Heimattage mit Heino als Vorsänger – sie sind kein nachhaltiger Segen für die Läden in der Stadt, wie leere Schaufenster, Smartphone-Shops, Nagelstudios und Discount- und andere Friseure an jeder Ecke zeigen.
Was für ein Vergnügen! Du hast dich heute für einen Spaziergang durch die Talaue entschieden statt im Schmidener Feld mit dem Fellbacher Besinnungsweg – solange er noch nicht von einer Autobahn durchschnitten wird. Grün bis ans Herz hinan: frohen Schrittes zum Bädertörle hinaus auf die große Erleninsel, die heute am späten Morgen hie und da schon als Liegewiese genutzt wird. Das Rehberger-Kunstwerk grüßt knallfarben herüber, eine Sonnenuhr, deren Zeitangaben du bisher nicht zu lesen vermochtest.
Die Rems unter der von Fritz Leonhardt, dem Fernsehturm-Erbauer, entworfenen eleganten Bogenbrücke zieht träge dahin und lässt nicht ahnen, dass sie bei Hochwasser zum reißenden Strom werden kann. Frischwärts: Der marmorne Altin-Brunnen vor dem Bürgerzentrum hat Kinder zum Bade geladenen, auch die Mutter lässt sich Füße kühlen.
An den von Festen geschundenen Brühlwiesen vorbei – wie durch ein Wunder hat der Grastisch von den Landeskunstwochen 1995 überlebt – geht’s du die Rems entlang, überquerst auf einem Aluminiumblech-Steg, der jeden Gestaltungswillen vermissen lässt, den als Fischaufstieg geschaffenen Nebenarm der Rems.
An flachen Stellen am Ufer wird er zum Spielen am Wasser genutzt. Höchst attraktiver Anziehungspunkt aber ist der Spielplatz an der Rems. Ahoi mit dem Schiff in neue Länder! Wasser marsch! Irgendein Spielgerät dient offenbar als Pumpe, die aus einem anderen in hohem Bogen Wasser spritzen lässt Das reißt mit den Kindern auch die Väter mit.
Jetzt unterquerst du an der Flutbrücke die mehrspurige Alte Bundesstraße und wirst an vergangenes Hochwasser erinnert: Die Rems führt bei diesen immer häufiger auftretenden „Ereignissen“ jede Menge Schlamm und Sand mit sich, die auf der flachen Unterführung abgelagert werden. Zwar ist dies kein fruchtbarer Nilschlamm, aber da und dort regt sich draus in der Trockenzone unter der Brücke doch erfreuliches Pflanzenleben – ein Fingerzeig, wie totes Land unter Straßenbrücken gestaltet werden könnte.
Rechter Hand erstreckt sich ein Biotop, ein kleiner Urwald schon. Dahinten vermischt sich irgendwo der magersüchtige Kätzenbach mit dem verschlungen angelegten Rems-Nebenarm. Dann die unerwartete Attraktion in der Talaue: Kein noch so teures Kunstwerk kann den zottligen Schottischen Hochlandrindern mit ihren langen, gefährlich aussehenden Hörnern den Rang ablaufen. Keine Angst, sie haben ihre Ruhe weg und sind mit Wiederkäuen beschäftigt.
Bleib jetzt mal stehen, am Birkenhain, wo sich der Weg zum Talauesee vom Remsuferweg scheidet! Hier weitet sich nicht allein der Blick in die großzügig angelegte Talaue – auch die Seele kann ihre Flügel ausbreiten. Sacht wogt das lange Gras der mit Blumen durchsetzten Futterwiese.
Dieses Jahr hat auch hier der Storchnabel, eine Geranium-Art, die Oberhand. In anderen Jahren konnten es auch mal Margeriten sein. Wo gibt es das sonst noch: Landwirtschaftlich genutzte Wiesen mitten in der Stadt, während in der freien Flur Mais mit Kunstdünger hochgetrieben wird.
Linker Hand kommt der Talauesee in Sicht.
Eine Tafel am Boden weist auf die ökologische Schutzzone hin. Richtung Seeplatz wird der See dann zugänglich, eine frisch gemähte Liegewiese hat den ersten Sonnenbeter angelockt.
Still ruht der See, wahrhaftig. Schwimmende Seerosenfelder erinnern an Claude Monets Garten in Giverny. Enten tauchen nach zartem Grün. Keine Schwäne mehr, leider. Sie sind erfolgreich vertrieben worden. Ein Hinweis darauf, wie sensibel die kleine Seenlandschaft ist.
Da drüben sieht du die skulpturalen Steinbänke von Paul Bradley – ein wunderbarer Ort für eine Lesung oder einen kleines Streichkonzert. Allerdings kannst du dich nicht daran erinnern, dass seit der Einweihung im Jahr 2000 jemals dergleichen stattgefunden hätte. Wohl aber an ein lauschiges Sommerabendfest mit der städtischen Galerie.
Was ist denn hier passiert? Eine panzerfeste Brücke aus Beton in Bunkerstärke anstelle der naturnahen Holzbrücke auf dem Weg zur Kneippanlage. Letztere, vom Kneippverein gepflegt, wird an diesem heißen Tag eifrig genutzt. Nun wieder zurück Richtung Rundsporthalle. Vom Seeplatz aus führt ein von einer Doppelreihe Apfelbäume begleiteter Weg mittendurch, entlang eines früheren Remsarms. Hüben und drüben die Futterwiesen, Lichtungen könnte man auch sagen.
„Kapelle für einen sterbenden Baum“ hat Helmut Stromsky seinen Beitrag zur den Landeskunstwochen unter dem Thema „Kultur natürlich“ anno 1995 genannt. Der sterbende Baum heute überlebt, ebenso das Kunstwerk. Zu sehen ist es allerdings – sommers nicht mehr. Die Stadt lässt den Kunstwerken von damals keine Pflege angedeihen. Auch gibt s keinen beschilderten Kunstpfad zu dem Reminiszenzen der wunderbaren Landeskunstwochen.
Der überdachte Luisensteg kommt in Sicht. Mit leichtem Bogen überspannt er die Rems, Brücke und Unterstand bei Regen zugleich – ein Werk des damals Waiblinger Brückenbauers Professor Jörg Peter. Wieder entlang der Rems gehst du weiter. Die hohen Pappeln, ohne die die Rems in Waiblingen nicht denkbar ist, spenden etwas Schatten. Jenseits kommt die Rudergesellschaft ins Blickfeld. Am Anlegesteg warten Drachenboote auf Trainingsbegeisterte.
Auf dem Lande beginnt jetzt eine landschaftliche Durststrecke: der Parkplatz für Rundsporthalle und Freibad, großenteils eine Wüste gleichend. Aber es kommt noch schlimmer: Das Areal unter der B14-Brücke, die unüberseh- und -hörbar über Rems und Talaue führt, wird als Erd-Lager- und –Umschlagplatz genutzt.
Du hast die Schlagworte zur Remstal-Gartenschau 2019 im Ohr: „Das Ziel dieses innovativen Projektes liegt in der nachhaltigen Aufwertung eines Lebensraumes für Natur und Mensch.“ Oder, wie es OB Hesky zu der Präsentation im Oktober 2015 als Ziele formuliert hat: Stärkung des Naturschutzes; Behutsame Entwicklung der Kulturlandschaft, Attraktivierung des Remstals als Erholungsgebiet. Jetzt fragst du dich: Braucht es dazu eine Gartenschau für möglichst viele auswärtiger Besucher? Sind wir Waiblinger es nicht wert, heute schon ohne Wüsteneien zu leben? Die feine Ironie der Waiblinger Stadtplaner: Just an der Bundesstraßenbrücke, wo dringend etwas „aufgewertet“ werden müsste, da enden die Gartenschaupläne. Ernst kann es den Stadtoberen – Verwaltung und Gemeinderat – nicht sein mit dem „Lebensraum für Mensch und Natur“.
Immer mehr Bürgerinnen und Bürger sind nicht einverstanden mit dem „Gartenschau-Wahn“ von Stadt und Gemeinderat / Nabu macht mobil gegen „Möblierung und Eventisierung“.
Waiblingen (gb) – Kritik an den Gartenschauplänen? An Kuben und Kunstlichtung? Gibt’s nicht wirklich und wenn, dann ist sie mittlerweile verstummt. _ So offenbar die Lesart im Rathaus und im Gemeinderat. Doch jetzt formiert sich Widerstand: Allein in den ersten zwei Stunden hat der Naturschutzbund Waiblingen (NABU) am Samstag an seinem Infostand auf dem Marktplatz über 200 Unterschriften gegen den von oben verordneten „Gartenschau-Wahn“ gesammelt. Es war, als habe man ein Ventil geöffnet: Immer mehr Waiblingerinnen und Waiblinger wollen die Ruhe und Naturnähe ihrer ökologisch bestens austarierten Rems-Landschaft offenbar nicht opfern zugunsten einer „Möblierung und Eventisierung“, die so gar nicht in eine Zeit passe, die eher Nachhaltigkeit und Entschleunigung brauche.
Es wurde viel diskutiert am NABU-Stand. “Die Brühlwiesen haben sie schon kaputt-gefeiert“, ätzt ein älterer Herr und eine amtierende Stadträtin muss sich belehren lassen, dass am Talauensee tatsächlich ein weiterer Spielplatz vorgesehen ist: „Des muss mir nausganga sei“. Man habe im Gremium doch immer gesagt, „am Talauensee passiert nichts“. Anhand städtischer Pläne und Zeichnungen erläutern Nabu-Chef Bruno Lorinser, Landschaftsplanerin Inge Maass und zwei Autorinnen der Buchreihe „Waiblinger Wundertüte“ neugierigen Marktbesuchern, was zum Preis von rund 3,5 Millonen Euro bis zum Gartenschau-Termin 2019 allein zwischen Hallenbad und Rundsporthalle so alles passiert. „Hirnrissig“, befindet eine junge Frau. Warum drei schwarze Basalt-Kuben an Remsgestaden zum Zwecke schönerer „Sichtachsen“ auf die Stadt und ihre Türme? „Weil die Planer grad bundesweit auf sowas abfahren“, merkt Bruno Lorinser an. Zeitgeistiger Schnickschnack, siehe auch den „Skywalk“ in Kernen, „teuer und unnötig“. Und auf den Kuben, prognostiziert ein passionierter Remsweg-Radler, „lungern dann nachts die Besoffenen rum- rund um den Talauensee ist’s ja jetzt schon dauernd versaut“.
Aber warum fällt das alles den Leuten erst jetzt auf? Es gab doch vorab die vielbeschworene sogenannte Bürgerbeteiligung? „Eine Farce“, sagt ein Ehepaar, das vergangenes Jahr dabei war. Ideen abgefragt – und Tschüss. Bürgerbeteiligung geht anders. Inge Maass, die selbst einmal die Berliner Bundesgartenschau mitgeplant hat, warnt vor einer „jahrelangen Baustellen mit vielen Erdbewegungen“. Einer der drei Beweidungsplätze für die geliebten Hochlandrinder zum Beispiel wird flachgelegt für ein sogenanntes grünes Klassenzimmer der Christoph-Sonntag-Stiftung. Die Fachleute haben wasserrechtliche Bedenken wegen Hochwassergefahr. Diverse Stellungnahmen aus dem zuständigen Landratsamt stehen aus – weil die städtischen Ideen, aber keine Pläne, erst seit wenigen Tagen dort vorliegen. Manches könnte auch noch aus rechtlichen Gründen kippen – wenn nicht, wäre laut Bruno Lorinser das Beweidungsprojekt gestorben – zu wenig Platz für die Tiere, dazu konzeptionell unorganisiert.
Vor Ort angeschaut haben sich das am Samstagnachmittag gut 50 Mitgänger beim alternativen Talauenspaziergang. Lorinser nennt die Umgestaltung des Wohnmobil-Standplatzes „vernünftig“. Die Sichtterrasse an der Erleninsel „auch okay“. Ab und an auch mal barfuß in die Rems tauchen, also die Ufer zugänglicher machen -prima.
Der weite Blick über die Wiese
Aber eine Kunstlichtung auf der freien Fläche zwischen See und Rundsporthalle? 220 Silberweiden, von unten erstmal drei Meter hoch ausgeastet, sollen einen Kreis um eine Lichtung bilden, die bespielt werden kann – erstmal im Wechsel von blauen Tulpen und rosa Nelken? Kopfschütteln allenthalben. Mit dem Geld- allein 560 000 Euro- könnte man Besseres tun. Aber was? Gibt’s denn etwas, das aus NABU-Sicht zum „Alleinstellungsmerkmal“ einer Waiblinger Gartenschau werden könnte? Aber ja: „Sich auf die Tiere konzentrieren“, sagt Inge Maass.
Eisvogel in der Talaue, Foto: Fred Jencio
Tatsächlich fliegt ein Eisvogel vorbei, mittlerweile gar nicht so selten an der Rems, ein Graureiher spaziert auf Mäusefang über die zukünfitge Lichtung, es gibt Eulen hier und Fledermäuse – und einen Weißstorch. Eine Spaziergängerin hat ihn vor zwei Wochen gesichtet. Genau auf der zukünftigen Kunstlichtung. Das war’s dann wohl? Soll er bleiben, müsste man ihm eine Wohnstatt anbieten und seinen Kumpels gleich mit – was für ein Attraktion! Ein Alleinstellungsmerkmal im ganzen Remstal!
Bruno Lorinser zitiert Punkt 1 der Talauen-Präambel von Stadtchef Hesky: „Stärkung des Naturschutzes“ steht da. – „Thema verfehlt“, konstatiert Lorinser. Mehr Biodiversität – Fehlanzeige! Die Leute stehen jetzt um ihn rum und fragen nach weiteren Unterschriftenlisten zum Mitnehmen. Sie kennen alle noch viel mehr Menschen, die unbedingt unterschreiben wollen.
Pressemitteilung NABU Waiblingen e.V. vom 17. Mai 2016
Gartenschau 2019 – Beschluss Gemeinderat Waiblingen vom 12. Mai 2016
Operation gelungen – Patient tot!
Die Operation hat der Gemeinderat Waiblingen mit seiner Zustimmung zu den Waiblinger Beiträgen zur Remstal-Gartenschau durchgeführt. Der Patient und in diesem Fall das Opfer, ist die Wiesenlandschaft der Waiblinger Talaue. Mit seinem Beschluss hat der Gemeinderat eines der letzten Überbleibsel der alten Kulturland-schaft der Talaue zum Untergang verurteilt.
Ein wirklich wertvolles Element der Waiblinger Talaue sind diese letzten verbliebenen stadtnahen Freiräume. Zudem sind es auch ökologisch bedeutsame Wiesenflächen die dem Charakter von besonders geschützten FFH-Flachland-Mähwiesen sehr nahe kommen. Zur Zeit des Vogelzugs sind dort sogar gelegentlich seltene Vogelarten wie Wiesenpieper und Braunkehlchen zu beobachten.
Flachlandmähwiesen (Wiesen, die gemäht werden, die einen Blütenreichtum besit-zen, also nicht die üblichen Park-, Zier- und Scherrasen) sind EU- geschützte Bio-toptypen, da echte Wiesen inzwischen extrem selten geworden sind. Wiesen sind nicht nur seltene Biotoptypen, die mit ihrer botanischen Vielfalt (Blühreichtum) Grundlage für Insektenreichtum (Insekten!!), und damit Vogelwelt darstellen – sondern bieten eine wohltuende Ruhe und ein optisches Erlebnis der Weite und Schlichtheit, das im Siedungsbereich, in Ballungszentren mit seinen Straßen, Bauten, Werbung und Beschilderungen von unersetzlichem Wert ist.
Dort, wo nun eine kreisförmige Kunstpflanzung aus Hochstammbäumen geplant ist, ist bereits eine Kulturlandschaft. Man muss nur einmal vor Ort gehen und sie entde-cken.Anscheinend geht man nicht mehr raus, sondern schaut sich bunter Power-point-Bildchen an. Die alten verfüllten Remsschlingen sind an den feinen Höhenunterschieden, den Vertiefungen in den Wiesenflächen und dem Wechsel von etwas trockeneren Salbei-Glatthaferwiesen und feuchten Wiesenfuchsschwanz- Silgen- und Seggenwiesen sichtbar. Die ehemaligen Ufer der Remsschlingen sind heute noch optisch sichtbar durch die verbliebenen Streuobst-Doppelreihen.
Warum muss diese Wiesenlandschaft mittig gefüllt werden?
Ein Horror vacui der Planer? Die Scheu vor der Leere?
Eine Planung am Computer, Planung auf dem Luftbild?
Oder waren alle (Planer wie Gemeindrat) gar nicht vor Ort?
Was als graphisches Muster auf dem Plan die (schrecklich leere!!!) Fläche füllt, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.
Hunderte von Bäumen in Kreisen bilden keine Waldlichtung. Selbst, wenn sie ver-dichtet stehen, ist das kein Wald und wird auch keine Waldlichtung bilden. Wald benötigt etwa 100 Jahre Entwicklung bis er aus dem Stangenholz aus- und zusam-menwächst und dann aus Unterholz und mehrschichtigen Baumbestand sich zu einer geschlossenen Masse verdichtet und zu einer Wand schließt, um darin die geplante „Lichtung“ für Literaturlesungen(!) zu beherbergen.
Die Frage ist, wollen wir überhaupt an dieser Stelle einen Wald – dort, wo jetzt die Wiesen einen weiten Blick zulassen? Und das zu diesen völlig außer Rand und Band geratenen exorbitanten Kosten? Lassen Sie sich nicht durch Plangraphik und blumige, aber inhaltsleere Worthülsen von „Kunstlichtung“ täuschen, gehen Sie vor Ort.
Nachdem es die Stadt schon fertig gebracht hat, durch unangepasste und mit dem Naturschutz nicht abgestimmte Pflegemaßnahmen, die in der Talaue brütenden Nachtreiher (Rote Liste 1 !) zu verjagen, sind auch die Tage dieser verbliebenen Freiflächen gezählt.
Jetzt wird dieser dort noch weite Horizont auch noch eingeengt und zugestellt. Mit den 600.000,- € werden dann 300 Hochstamm-(Weiden???) mit Tiefladern aus Hol-land her transportiert, um dort eine sogenannte „Kunstlichtung“ entstehen zu lassen. Schon die Begrifflichkeit selbst zeigt deren fehlenden Ortsbezug. Man braucht dort keine Kultur hinzutragen. Sie ist schon dort. Man versteht das aber offensichtlich nicht mehr. „Kunst“ vernichtet Kultur, wenn man mit solchen Spielereien das Vorhandene überprägt. Nur einige wenige Mitglieder des Gremiums haben wohl kritische Fragen gestellt. Dafür sei gedankt.
Das zeigt die realitätsferne Abgehobenheit der Planung sehr deutlich. Statt die vor-handenen ökologischen Potentiale dieser Auenlandschaft weiter zu entwickeln und zu fördern, wird ein modernistisches Konzept entwickelt, mit bunten Powerpoint-Folien illustriert und fertig ist die Planungstütensuppe. Fertig sind honorarintensive Lösungen die in erster Linie dem Planer selbst und den ausführenden Firmen nutzen. Zahlen tut ohnehin der Steuerzahler.
Es scheint eine gängige Idee, geradezu eine Unsitte der Planer zu sein, dass man sich bei der Remstalgartenschau überall der bereits vorhandenen Werte bemächtigt. Man sucht sich die schönsten Stelle aus (Relikte der Natur- und Kulturlandschaft, ein Bergsporn, eine Wiesenaue, ein … ) und setzt auf „Inszenierung“ und „Überhöhung“ mit Steg, Plattform, Erlebnisweg, Terrassen und Bäumchenrondel. Kurz, statt selbst Werte zu entwickeln, hängt man sich irgendwo an und bedient sich so der vorhandenen landschaftlichen Werte. Und zerstört sie damit. Offensichtlich aber ein Rezept mit dem man Verwaltungen und Räte überzeugen kann.
Anstatt alte Sünden und Landschaftsschäden zum Ausgangspunkt der Planung zu machen, fischt man in fremden Gewässern.
Es gäbe durchaus noch Entwicklungspotential.
Auch das was unter der Begrifflichkeit Bürgerbeteiligung in dieser Sache gelaufen ist verdient nicht diesen Namen. Bürgerbeteiligung sieht anders aus. Hier braucht die Stadt offensichtlich noch reichlich Nachhilfe.
Das ist aber offensichtlich bei dem Thema der Remstalgartenschau überall so. Die Aussichtsplattform in Kernen braucht auch Niemand.
Die „Kunstlichtung“ für 600.000,- € braucht ebenfalls Niemand. Zudem werden hohe Pflege- und Unterhaltskosten anfallen. Wo sind die Alternativen? Wurden umwelt- und artenschutzrechtliche relevante Belange überhaupt geprüft? Wohl nicht wirklich!
Entscheidungen mit verengtem Horizont sind nie gut. Die innerstädtische Talaue ist es wert nachhaltig behandelt zu werden. Das ist hier eindeutig nicht geschehen.
Man hätte mit dieser Summe einen dauerhaften Mehrwert zugunsten des Naturer-lebnisses der Waiblinger Bürger in der Talaue schaffen können. Eine weitere Chance ist vertan!
Dieser Artikel war am 12. Mai 2016 in der Stuttgarter Zeitung zu lesen. Wir veröffentlichen ihn an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung der Autorin Annette Clauß.
Waiblingen Der Landschaftspark entlang der Rems soll im Hinblick auf die Remstalgartenschau 2019 aufgewertet werden. Über die Projekte hat nun der Gemeinderat teils kontrovers diskutiert. Insbesondere die „Kunstlichtung“ gefällt nicht jedem. Von Annette Clauß
Ziemlich turbulent ist eine Sondersitzung des Waiblinger Gemeinderats am Dienstagabend verlaufen: Das bestimmende Thema war dabei die Remstalgartenschau im Jahr 2019, für welche der Gemeinderat einen Masterplan mit knapp zehn Schwerpunktprojekten beschließen sollte. Deren Umsetzung, so schätzt man vonseiten der Verwaltung, wird rund 3,4 Millionen Euro kosten. Eine Summe, die so manchem Gemeinderat angesichts der künftig voraussichtlich wenig rosigen finanziellen Situation der Stadt großes Unbehagen bereitet.
Die Fraktion der Alternativen Liste (Ali) hatte daher beantragt, die Gesamtbaukosten der Stadt auf zwei Millionen Euro zu deckeln, die SPD-Fraktion forderte in einem Antrag, jede der Maßnahmen einzeln auf „Sinnhaftigkeit, Notwendigkeit und mögliches Einsparpotenzial“ zu prüfen.
Bernd Wissmann von der Bürgerliste Bittenfeld (BüBi) meinte: „Der Masterplan ist gut, aber die Kosten haben mich schon etwas schockiert.“ Heftig diskutiert haben die Räte insbesondere über die „Kunstlichtung“. Nach den Vorstellungen des Planungsbüros RMP aus Bonn sollen dazu als Ableger der Galerie Stihl auf einer großen Wiesenfläche in der Talaue mehrere Hundert Bäume kreisförmig gepflanzt werden. In deren Mitte soll so eine künstliche Lichtung geschaffen werden, auf der Lesungen oder Konzerte veranstaltet werden können. Kostenpunkt: rund 560 000 Euro.
Die Idee fanden nicht alle Gemeinderäte gut. Während Hans-Ingo von Pollern (CDU) die „Kunstlichtung“ als „hochattraktiv“ bezeichnete und Volker Escher (DFB) von einem „tollen Projekt“ sprach, verwies Alfonso Fazio (Ali) auf die Folgekosten bei der Pflege der Bäume und bezeichnete die bestehende Wiese mit ihrer Wildblumenpracht als „Schatz an sich“. Der Planer Stephan Lenzen betonte, die Wiese solle weiterhin maximal zweimal im Jahr gemäht werden, nur die Lichtung müsse öfter gekürzt werden. Seiner Vorstellung nach könnten die Besucher Letztere über einen Weg, aber auch aus allen Richtungen und quer über die Wiese erreichen.
Roland Wied (SPD) betonte, diese schöne Fläche in der Talaue sei eine Seltenheit, „ein Wert, den wir dann nicht mehr haben“.
Julia Goll (FDP) merkte an, eine mit Bäumen bepflanzte Fläche müsse nicht ökologisch wertvoller sein als eine Wiese: „Ich hätte da gerne mal die Meinung eines Naturschutzfachmanns.“ Im Hinblick auf andere Waiblinger Gartenschau-Projekte kritisierte sie „den Geist der Versiegelung, der sich durch diesen Masterplan zieht“. Bei Juliane Sonntag (SPD) fand die Idee der „Kunstlichtung“ Anklang, sie schlug aber vor, sie mehr am Rand der Wiese zu platzieren, denn diese sei erhaltenswert.
Der Oberbürgermeister Andreas Hesky reagierte ungehalten auf die Kritik. Er sieht die „Kunstlichtung“ als zentrales Element der Gartenschau, bei der die Talaue zur „Talaue 4.0“ werde, sprich „aufgewertet und ertüchtigt“ werden solle. Gerade wegen dieser „Kunstlichtung“ habe man doch das Büro RMP beauftragt, und wegen dieser „famosen Idee“ blicke „jeder mit Neid auf Waiblingen“. Auch bei der Bürgerbeteiligung habe es keinen Widerstand dagegen gegeben. Der Rathauschef setzte dem Gemeinderat quasi die Pistole auf die Brust: „Wenn wir das Thema nicht umsetzen sollten, ist ein Stück weit die Beauftragungsgrundlage für das Büro RMP weg.“ Im Übrigen habe die Eva-Mayr-Stihl-Stiftung bereits eine Spende zwischen 300 000 und 500 000 Euro in Aussicht gestellt. Auch die Baubürgermeisterin Birgit Priebe konnte die Kritik nicht nachvollziehen – den Masterplan habe man doch bereits im Oktober diskutiert: „Warum sind Sie damals nicht auf die ‚Kunstlichtung’ eingegangen?“ Das wiederum sahen die Kritiker anders. „Es gibt da wohl ein Kommunikationsproblem“, sagte Julia Goll, „ich erinnere mich an durchaus kritische Stimmen zur ‚Kunstlichtung‘. Dass das ganze Projekt mit der ‚Kunstlichtung‘ steht und fällt, war nicht klar.“
Es habe ja auch andere Ideen zum Thema Kunst gegeben. So sei von einem Skulpturenpfad die Rede gewesen. Im Oktober habe man der Planungskonzeption zugestimmt – aber mit der Zusage der Verwaltung, „dass alles zur Disposition steht und wir alles noch diskutieren können“, sagte Alfonso Fazio. Seine Reaktion: „Ich lasse mich nicht erpressen.“ Die „Kunstlichtung“ wurde dann aber mit einer Enthaltung, 18 Ja-und elf Nein-Stimmen auf den Weg gebracht.
Kommentar: Fragwürdige Taktik
Überrumpelt Die Stadträte sind möglicherweise bewusst spät über die Projektdetails informiert worden. Von Annette Clauß
Die Talaue ist ein kostbares Stück Waiblingen – da sind sich alle einig. Und eines ist ebenfalls klar: Egal, wie man zur Idee einer Kunstlichtung steht, das Projekt, bei dem rund 300 Bäume gepflanzt werden, wird das vertraute Bild der weiten Wiesenlandschaft nachhaltig verändern. Insofern ist es richtig und wichtig, sorgfältig zu überlegen, ob das gewünscht ist. Und so muss ein Gemeinderat ausführlich darüber diskutieren dürfen. Dass sich zumindest ein Teil des Gremiums am Dienstagabend von der Verwaltung überrumpelt und unter Druck gesetzt fühlte, kann man als Zuhörer gut nachvollziehen. Das Argument, man habe die Projekte bereits vor Monaten vorgestellt bekommen und genug Zeit zum Überdenken der Pläne gehabt, entspricht nicht ganz den Tatsachen. Die damals vorgelegten Entwürfe waren allenfalls Skizzen dessen, was eventuell sein könnte. Nachfragen wurden eher nebulös beantwortet, nach dem Motto: Wir sind ja noch ganz am Anfang.
Die entnervte Reaktion des Oberbürgermeisters auf die Kritik an der Kunstlichtung ist also nicht gerechtfertigt. Und die Behauptung, die Bürgerschaft stehe hinter dem Projekt, ein bisschen vermessen: Sie hat bislang ebenso wenig Details über das Projekt erfahren wie ihr Gemeinderat. Laut der Verwaltung hat das Landratsamt keine ökologischen Bedenken gegen eine Baumpflanzung in der Talaue. Die Wildblumenwiese, so die Planer, solle erhalten bleiben. Die Besucher aber sollen die Lichtung aus allen Himmelsrichtungen quer über die Wiese ansteuern. Man muss kein Landwirt sein, um zu wissen: Das ist das Ende einer Blumenwiese. Sobald das Gras höher steht, wird es niedergetrampelt. Es wird also öfter als bisher gemäht werden, was nicht zur Pflanzenvielfalt beiträgt. Eine Mehrheit der Gemeinderäte hat nach einer Diskussion entschieden, dass die Kunstlichtung wichtiger ist. Das ist legitim – und ganz im Sinne des Oberbürgermeisters. Trotzdem darf diese Taktik in Zukunft keine Schule machen.