Hoffnung heißt Ärmel hochkrempeln

Klimaschutz ist meistens  Frust ohne Ende- wie motiviert er sich da selbst immer wieder aufs Neue? „Hoffnung heißt Ärmel hochkrempeln“ sagt Dr. Georg Kobiela (oben im Foto) von german watch, einer, der an vorderster Front den Kampf gegen die  Erderwärmung aufgenommen hat.  im Kulturhaus Schwanen hielt er nun  einen einführenden Vortrag  bei einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Das Klima retten – aber wie?“. Eingeladen hatten die fünf Klimabündnisse im Remstal – auf dem Podium saßen die Bundestagskandidat*innen.
Vorab hatten wir die Gelegenheit, Dr. Kobiela ein paar Fragen zu stellen.

Herr Kobiela, wie ist Ihre persönliche Geschichte – von der Industrie bis hin nun zu Germanwatch

Physikstudium, anschließend Industriepromotion im Automotive-Bereich und Industrietätigkeit. Ich las (z.T. durch das Thema meiner Forschung bedingt, aber auch darüber hinausgehend) viele Publikationen rund um Atmosphärenprozesse und wie viel fossiler Kohlenstoff im Boden bleiben muss („unburnable carbon“). Zugleich nahm ich durchaus persönlichen Idealismus bei meinen Kolleg:innen wahr, allerdings auch Ratlosigkeit, wie überhaupt Veränderungen passieren könnten. Und die Macht des VDA wurde mir sehr präsent.
Daraus entschied ich mich, aus der so sicher wirkenden Festanstellung heraus zu gehen und nochmal eine Mischung aus Philosophie, Politik und Volkswirtschaft zu studieren. Parallel dazu begann ich meine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.


Erkenntnisse umzusetzen und Veränderungen zu ermöglichen, dabei auf breiten gesellschaftlichen Konsens zu setzen ist mir wichtig. Als mir diesen Frühsommer eine Stelle bei Germanwatch angeboten wurde, verließ ich dafür zugleich begeistert wie auch schweren Herzens das Wuppertal Institut und arbeite nun deutlich politiknäher als Senior Advisor für Industrietransformation daran, dass Umweltverbände, politische Akteure und Unternehmen hier konstruktiv zusammenkommen und erforderliche Veränderungen passieren.

Das Wuppertaler Institut ist sehr bekannt – was waren die Schwerpunkte Ihrer Arbeit dort?

Vor allem die Transformatonsprozesse der energieintensiven Grundstoffindustrie (Stahl, Zement und Chemie) inklusive Technologieanalysen und ökonomischen Betrachtungen. Darüber hinaus auch konkrete Umsetzungsstrategien von Kommunen und Unternehmen, landwirtschaftliche Herausforderungen und die Energiewende im ganz breiten Bild.

Sie haben für FFF eine Studie erstellt „CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze“. Was ist deren Ergebnis?

Wir haben aufgezeigt, welche Veränderungen in Deutschland zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze erforderlich sind. Dazu müssen wir in einem sehr knappen CO2-Budget bleiben und bis ca. 2035 CO2-neutral sein. Die kommenden zehn Jahre sind absolut entscheidend, und damit besonders die jetzt kommende Legislaturperiode. In der Studie fokussierten wir auf die großen CO2-emittierenden Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr und Gebäudewärme. In allen diesen Sektoren sind die Herausforderungen enorm, aber bei entsprechender Priorisierung und sehr konsequenter Umsetzung prinzipiell zu bewältigen. Es kommt hier weniger auf die technologischen Hürden an, sondern auf die politische und gesellschaftliche Bereitschaft, das jetzt umfassend und tiefgreifend anzugehen und auch einzufordern. Nichts tun wird auf alle Fälle sehr viel teurer als dieser Pfad. Die Transformation dagegen kann auch sehr positiv für das Land sein, wenn entsprechend viele Gruppen einbezogen und beteiligt werden.

Glauben Sie, dass die jungen Menschen ernst genug genommen werden? Hat die Politik auf diese Studie reagiert?

Es könnte immer noch auf alle Fälle sehr viel mehr sein. Die Klimakrise und die damit verknüpften Krisen sind schon jetzt die weltweit dominierende Herausforderung, und das wird noch viel heftiger werden. Wer behauptet, die Klimakrise rundum verstanden zu haben, hat sie meistens eben nicht verstanden. Und gerade in den mittleren und älteren Generationen ab ca. 35 Jahren bis rauf ist noch viel zu viel Verdrängung da. Und zu wenig Verantwortung für die Jüngeren. Denen muss noch viel mehr Gehör geschenkt werden, und diese dürfen sich nicht stumm halten lassen.

Den direkten Effekt der Studie kann ich schwer einschätzen. Sie hat den Diskurs aber sicherlich mit geprägt. Fakt ist aber, dass das Bundesverfassungsgericht kürzlich das alte Klimaschutzgesetz der Bundesregierung für ungenügend erklärt hat, und sich dabei explizit auf den Schutz der Freiheit von Menschen in künftigen Jahrzehnten berufen hat. Auch das neue Gesetz reicht an sich noch nicht bei einer fairen globalen Verteilung des verbleibenden globalen Treihausgasbudgets. Aber es geht in die richtige Richtung.

Wie kann sich die junge Generation, die ja von den Folgen des Klimawandels viel stärker betroffen sein wird, ausreichend Gehör verschaffen?

Während der Corona-Pandemie haben wir erlebt, dass sich die Generationen auseinanderleben. Großeltern und Enkel haben sich nicht mehr ausgetauscht. Die Gesellschaft neigt zur Vereinzelung, das Vereinsleben hat im letzten Jahr stark gelitten. Ein Austausch der Generationen untereinander ist dringend notwendig, damit die Äteren sich der Verantwortung für die nachfolgenden Generationen wieder bewusst wird. Wenn man das Wahlalter auf 16 absenkt, nimmt man die Jugend auch ernst.

Was muss die neue Bundesregierung in Ihren Augen zuallererst angehen?
Welche Schwerpunkte sehen Sie als die wesentlichsten an?


Da empfehle ich unter anderem die Kurzfassung mit Schlüsselbotschaften aus der besagten Studie:
https://wupperinst.org/p/wi/p/s/pd/924/%20bzw.%20https://epub.wupperinst.org/frontdoor/index/index/docId/7606

Das kommende Jahrzehnt ist entscheidend, und schon im 100-Tage-Programm muss die kommende Regierung engagiert loslegen.

Der Ausbau der Erneuerbaren muss massiv beschleunigt werden, um einen Faktor von mindestens 3.
Gerade Photovoltaik (auf ziemlich allen Dächern und teilweise auch als Agri-PV), sowie Wind an Land und offshore müssen vorankommen.
Und der Kohleausstieg muss sehr viel früher kommen, spätestens 2030 muss weitgehend Schluss sein. Das kann über unterschiedliche Wege erfolgen, und einige Werkzeuge werden da auch schon eingesetzt, gerade auch von der europäischen Ebene. Dass der Kohleausstieg tatsächlich früher kommen wird, muss natürlich auch ehrlich kommuniziert werden, gerade auch um den Regionen wie der Lausitz einen verlässliche Perspektive zu liefern. Davor scheuen manche Parteien derzeit aber zurück.

Und wo ist die viel propagierte Mobilitätswende?


Die Mobilitätswende wurde bislang nahezu vollständig verschlafen, da muss viel geschehen, unter anderem massiver Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der Rad- und Fußwege, Stadtentwicklung für kurze Wege, und ein zeitnaher Phase-Out für Verbrennungsmotoren. Da sind viele europäischen Nachbarländer schon viel weiter.
Und die Gebäudesanierung ist ein Riesenthema für sich, das zu wenig Beachtung erfährt unter anderem muss das Aus für den Neueinbau fossiler Heizungen schnell erfolgen, z.B. 2022.

Besteht bei all dem die Gefahr, manche Teile der Bevölkerung über die Gebühr zu belasten?

Bei alledem ist freilich darauf zu achten, dass es sozial gerecht zu geht, und kleine Einkommen nicht über Gebühr belastet werden. Sonst wird das keine gesamtgesellschaftliche Erfolgsgeschichte.

Daneben sind auch internationale Lösungen anzustreben, wie z.B. die Etablierung von Klimaclubs damit Klimaschutz auch in einer globalen Wirtschaftsweise funktioniert.

Welche Unterschiede sehen Sie in den Parteiprogrammen?

Da gibt es sehr große Unterschiede, auch wenn keines der Programme wirklich ausreicht. Das bedeutet auch, dass Klimaschutz auch nach der Wahl kritisch begleitet und eingefordert werden muss, damit wir auch einen guten Pfad kommen. Das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) hat kürzlich eine sehr gute und umfassende Analyse der Wahlprogramme herausgegeben.
https://diw-econ.de/publikationen/wie-viel-klimaneutralitaet-steckt-in-den-wahlprogrammen/
Darin wird deutlich, dass vor allem die Konzepte von FDP, CDU und SPD große Lücken in der Ambition aufweisen. Die Linke und die Grünen sind deutlich ambitionierter, aber auch dort ist noch Luft nach oben, zudem untescheiden sie sich darin, wie konkret die Konzepte hinischtlich der Werkzeuge werden.

Wie sehen Sie die Klimapolitik auf europäischer Ebene – ambitioniert oder aussichtslos?

Die EU setzt hier sehr wichtige Impulse, und in Deutschland wird die europäische Ebene viel zu wenig beachtet. Auch dort müsste es zwar noch schneller gehen, das ist aber nicht der EU vorzuwerfen, sondern eher einzelnen Ländern darin. Auch Deutschland trat da zuweilen als Bremser auf. Die kürzliche Verschärfung der EU-Klimaziele für 2030 (minus 55%) war ein sehr wichtiger Schritt, und daran, dass das große Klimaschutzpaket „Fit for 55“ der EU ein Erfolg wird, ist natürlich dann auch wieder die deutsche Politik beteiligt.

Glauben Sie persönlich, dass das 1,5 Grad Ziel noch zu erreichen ist?

Hoffnung bedeutet Ärmel hochkrempeln. Solange wir die Grenze noch nicht gerissen haben, bin ich Optimist, vielleicht auch Zweckoptimist. Es kann alerdings auch durchaus sein, dass diese Grenze noch innerhalb meiner Erwerbszeit gerissen wird. Nur auch dann heißt es, um jedes Zehntelgrad zu kämpfen und möglichst schnell wieder unter die Grenze zu kommen.

Sie arbeiten jetzt für Germanwatch als Referent für Industrietransformation und vernetzen für den erforderlichen Umbau relevante Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und aus unterschiedlichen politischen Lagern.
Unternehmen wie Shell, Exxon oder RWE wissen seit Jahrzehnten über die Auswirkungen ihrer umwelt- und klimazerstörenden Arbeitsweise Bescheid. Ist aus Ihrer Sicht in der Industrie ein echtes Umdenken da? Oder nur
Greenwashing?

Die Industrie und die vielen großen und kleineren Unternehmen können nicht pauschal über einen Kamm geschoren werden. Es gibt da engagierte, wirklich vorangehende Unternehmen, und auch viele Unternehmen fordern sind weiter als die politischen Rahmenbedingungen. Aber es gibt natürlich auch Bremser. Manche wie es bei Exxon Mobil seit den 80 Jahren ist, versuchten sehr lange Zeit die Klimawissenschaft zu diskreditieren, und davon sind immer noch Auswirkungen zu spüren. Andere bremsen, weil sie die eigentlich vorhandenen Perspektiven nicht sehen oder sie noch entwickelt werden müssen. Diesen müssen wir Brücken bauen und sie ins Boot holen. Aber die meisten Technologien sind vorhanden, da kommt es auf den Rahmen und die Umsetzung an.

Was hat Sie persönlich im bisherigen Wahlkampf aus Klimasicht besonders gefreut und was besonders geärgert?

Immerhin wird langsam begriffen, wie existentiell das Thema Klima ist. Die älteren Generationen verweigern sich der Erkenntnis aber noch zu sehr, hier bahnt sich ein Generationenkonflikt an. Der Wahlkampf war zudem oft unsachlich und hat sich allzu oft in Diskreditierung erschöpft anstatt mit positiven, lösungsorientierten Ansätzen im Wettbewerb zu sein. Inhalte brauchen einen höheren Stellenwert, unter anderem auch in der medialen Begleitung, da lassen auch Zeitungen etc. die Parteien allzu leicht vom Haken.

Und Klimaschutz wird allzu sehr immer noch nur von der Kostenseite betrachtet, das merkte man auch an den Journalisten-Fragen in einigen Gesprächsformaten. Sowohl die Chancen der Transformation als auch die gravierenden Konsequenzen unzureichender Klimaschutzpolitik haben da wenig Raum eingenommen.


Was machen sie mit all dem Frust, den sie erleben?
Hoffnung heißt Ärmelhochkrempeln.  Die Politik hinkt immer der Gesellschaft hinterher. Da geht der Wandel viel zu langsam. Zwischen den Wahlen allerding prägen die gesellschaftlichen Diskussionen den Kurs. Im Grunde haben wir derzeit einen Mentalitätsveränderungsstau.


Klimaforscher werden oft als wirtschaftlich inkompetent dargestellt, Motto:  alles gut gemeint, aber nicht bezahlbar. Die Frage ist aber: wie viele Katastrophen a la Ahrtal kann sich ein Staat leisten? Fachleute haben errechnet, dass künftig weit über 500 Millionen jährlich zur Schadensbegrenzung aufgewendet werden müssen, das sind 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Warum ist Klimaschutz
angeblich zu teuer, aber Milliardenhilfen für fossile Energien (Lufthansa, tui) sind okay?


Wirtschaftlich herrscht in diesem Land immer noch ein sehr konservativer Geist – auf der anderen Seite sind viele Unternehmensverbände da schon weiter. Da stecken die Chancen und Perspektiven drin. Und es gibt durchaus Wirtschaftswissenschaftler:innen, die im Bereich des Klimaschutzes up-to-date sind. Denken Sie z.B. an Claudia Kemfert.

Waiblingen bekommt ein neues Stadtoberhaupt- wie sieht das Anforderungsprofil aus in diesen Zeiten?

Es gilt ja irgendwie das schwäbische Dogma, dass er, dass sie am besten von der Verwaltungslaufbahn her kommen muss. Das ist ja nicht schlecht, aber es braucht einen breiteren Blick, um wirklich konzeptionell an die Aufgabe ranzugehen.
Ein OB sollte eine Art Überbau bilden- wo will ich hinkommen, welche Schritte braucht es dazu. Und man muss auch Fehler eingestehen können, Brückenbauer sein, auch Visionär- und man muss auch eigene Macht abgeben können.
Die Fridays sind ja gerade eine Art Belagerer, aber die Jungen müssen mehr Druck machen, eine Verantwortungsperspektive einnehmen, Beteiligungsformate einführen, ein Leitbild festschreiben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Im Gespräch mit Georg Kobiela waren Sabine Zeiner, Iris Förster und Gisela Benkert.

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Hier kann man die Podiumsdiskussion in voller Länge anschauen: https://www.youtube.com/watch?v=NwbShGwcjw4

Und das schreibt die WKZ über die Veranstaltung: https://www.zvw.de/rems-murr-kreis/bundestagswahl-im-rems-murr-kreis-klimawandel-erderhitzung-tut-endlich-was_arid-402968

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Bürgerbeteiligung – ein wirkungsvolles Instrument?

Erste echte Bewährungsprobe: Wie erst nehmen Verwaltung und Gemeinderat die Anliegen der Waiblinger Bürger wirklich? Mit dem neu geschaffenen Instrument der echten Bürgerbeteiligung könnte es in einem ersten Testfall gelingen, die innerstädtische Waiblinger Verkehrssituation im Hotspot Fronackerstraße und drumherum wirklich nachhaltig zu verändern. Damit wäre die Analyse einer Gruppe von Studenten des Masterstudiengangs Sustainable Mobility aus Nürtingen, die vor einem Jahr für Aufsehen sorgte bei einer Veranstaltung im Schwanen (shared space für die Fronackerstraße) druckvoll in der Realität angekommen.

Die Stadt Waiblingen hat sich ein neues Instrument zur Bürgerbeteiligung gegeben. Im Mai hat der Gemeinderat die Richtlinien zur Bürgerbeteiligung verabschiedet, die ermöglichen sollen, dass jede Bürgerin und jeder Bürger ein Beteiligungsverfahren beantragt.
Um den Wortlaut der Richtlinien und auch um das Verfahren selbst wurde lang diskutiert und heftig gerungen. Zwei abendfüllende Sitzungen lang diskutierten Vertreter*innen der Städtischen Gremien und zufällig ausgewählte Waiblingerinnen und Waiblinger, wie das Instrument wirkungsvoll umgesetzt werden könnte.
Jetzt haben die Waiblinger*innen Sonja und Jörg Buchholz die Initiative ergriffen und Mitstreiter gesucht. Sage und schreibe 48 Mitunterzeichner*innen haben sie für ihren Antrag auf Bürgerbeteiligung in Sachen Fronackerstraße gewonnen.
Sie alle beantragen „eine informelle Bürgerbeteiligung für die Neuausrichtung der Fonackerstraße zur Verbesserung und Aufwertung der Lebenssituation der im Quartier wohnenden Bürgerinnen und Bürger sowie der Gewerbetreibenden unter Berücksichtigung einer Verkehrsuntersuchung „Bahnhofstraße/Fronackerstraße“ für ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Verkehrskonzept in Verbindung mit der Bebauung des AVIA-Areals“. Begründet wird der Antrag u.a. damit, dass die Fronackerstraße zur Problemstra0e geworden ist und keine weitere Verkehrsbelastung verträgt und dass das Vorhaben für die Gesamtstadt wegweisend ist und deshalb ein großes öffentliches Interesse besteht.
Im nächsten Schritt entscheidet der Gemeinderat über die Aufnahme des Antrags in die Vorhabenliste. Und da führt ja wohl kein Weg dran vorbei.


Hoffen wir, dass sich für die Betroffenen bald etwas tut.

Die AGTif-Fraktion hat zudem noch den Antrag gestellt, dass zur Überplanung des Gebiets Fronackerstraße / Untere Bahnhofstraße / Querspange / Stadtgraben einen Wettbewerb ausgeschrieben wird. Denn innovative Verkehrs- und Stadtplaner können dadurch mit einem unvoreingenommenen Blick neue Ideen zur Verbesserung der Verkehrssituation einbringen.
In der Antragsbegründung heißt es: „Nach der Vorstellung der ersten studentischen Untersuchungsergebnisse zur Fronackerstraße im Oktober vergangenen Jahres bei einer großen Veranstaltung im Schwanen ist deutlich Bewegung in die Sache gekommen. Zahlreiche Vorschläge zur Verbesserung der Verkehrssituation wurden seitdem formuliert (shared space, Unterbrechung der oberen und unteren Fronackerstraße, Sperrung der Albert-Roller-Straße, Fronackerstraße als Fahrradstraße, Rückbau von Parkplätzen …), Bürger*innen melden sich zu Wort, Bürgerbeteiligung wurde beantragt.
Die geplanten Bauvorhaben in der Fronackerstraße bringen die Verkehrsprobleme in diesem gesamten Areal jetzt noch viel klarer ans Licht. Nachdem in Waiblingen bislang Verkehrsplanungen hauptsächlich Fortschreibungen der bestehenden Verhältnisse waren, ist es nun Zeit für eine Neubewertung. Einzelmaßnahmen führen nicht zum gewünschten Erfolg, die gesamte Verkehrssituation im Gebiet von der Querspange, dem Alten Postplatz bis hin zum Stadtgraben und zur Bahnhofstraße bedarf einer Überplanung und Neuordnung.
Ein Neubau im Bereich der Avia-Tankstelle würde erheblichen zusätzlichen Verkehr mit sich bringen, ebenso ein Neubau auf dem sogenannten Sauter-Areal. Die Fronackerstraße ist jetzt schon stark belastet – von irgendeiner Aufenthaltsqualität kann man angesichts dieser Flut an Pkw und Anlieferfahrzeugen wirklich nicht mehr sprechen.
Trotz mehrerer auf partielle Abhilfe zielender Haushaltsanträge quer durch die Fraktionen wurde das Grundproblem bisher weder angegangen, noch ist der große Wurf in Sicht. Wir sind überzeugt davon, dass ein unvoreingenommener Blick von außen, auch durch junge und innovative Verkehrs- und Stadtplanungsbüros, neue Wege aufzeigen kann.
Einen Wettbewerb zur Verbesserung der Verkehrssituation sehen wir als geeignete Möglichkeit.“

Nach zahlreichen Augenzeugenberichten, Leserbriefen und Stellungnahmen sollten auch die letzten Zweifler und Zauderer die Dringlichkeit erkannt haben. Hier muss endlich gehandelt werden!

Das Hausbuch für die deutsche Familie – ein Fundstück

Das heimische Bücherregal – bewährte Kost halt, wenig frequentiert, meist zu selten abgestaubt und oft lediglich imageförderndes Mobiliar („Das alles hast du gelesen?“). Lockstoff pur hingegen: das öffentlich-offene Bücherregal vorm Waiblinger Karo. Wie spannend, einfach so ins Ungekannte zu greifen- und diesen Schatz in Händen zu halten: „Die Frauen verstehen es besser das Geld einzuteilen und richtig auszugeben … geben wir es doch ruhig zu“ steht da in unverrückbar-zeitloser Wahrheit.

Und dann wird’s wunderbar retro: „Aber Männersache ist es, das Geld zu verdienen. Ich habe besonderes Glück gehabt! Meine Frau teilt meine Auffassung. Wer gut versorgt und nett behandelt werden will, der braucht nur im Konsum zu kaufen. […] Darum sage ich meinen Arbeitskollegen und Freunden immer wieder: Auf zwei Dinge kommt es an: Auf `ne vernünftige Frau und auf `ne gute Einkaufsquelle! Macht`s wie wir – kauft dort wo wir kaufen! Der Konsum ist für alle da.“

Die Frauen verstehen es besser …



Dieser Hinweis findet sich auf der Rückseite vom „Hausbuch für die deutsche Familie“, herausgegeben 1956 vom Bundesverband der deutschen Standesbeamten e.V. in einer Sonderauflage für Waiblingen. Was für ein herrlich angestaubter Erkenntnisgewinn.

Der Inhalt des Buches ist nicht weniger aufschlussreich. Direkt vor dem Merkblatt für Eheschließende („Gesundheit von Mann und Frau ist ein Grundpfeiler für das Glück in der Ehe.“) findet sich Anzeige der Waiblinger Firma Albert Ries. Sie wirbt für Nähmaschinen der Marke Pfaff. „Seit fast einem Jahrhundert nähen Millionen in aller Welt auf Pfaff.“ Darüber hinaus werden kostenlose Näh- und Stickunterweisungen bei Lieferung in Aussicht gestellt.

Rechtliche Fragen in Ehe und Familie wird werden von Dr. K. Schäfer erklärt. „Das Gleichberechtigungsgesetz bestimmt: Der Ehe und Familienname ist der Name des Mannes. […] Daß der Name des Mannes zum Ehe- und Famliennamen der Ehegatten bestimmt wurde, ist nicht ein Ausfluß aus einer bevorrechtigten Stellung des Mannes, sondern beruht auf praktischen Erwägungen der Ordnung und Übersichtlichkeit.“ Immerhin – ein Doppelname (Müller-Schulze) ist gestattet.

Im Kapitel Heim und Haushalt geht es um die Einrichtung der Wohnung („Die Küche ist das eigentliche Reich der Hausfrau. Damit man rasch und ohne zu großen Kraftverbrauch darin arbeiten kann, muss sie zweckmäßig eingerichtet sein. Sie soll auch freundlich wirken, da die Hausfrau einen guten Teil des Tages in ihr verbringt“) und die Zusammenstellung des Hausstandes. Hier empfehlen sich die Waiblinger Firmen Gardinenhaus Schatz für Tapeten, Linoleum, Teppiche, Läufer und Gardinen und das Haushaltswarengeschäft Fritz Mayer für Kaffee- und Tafelgeschirre von der „Weltmarke des Porzellans“, der Firma Rosenthal. Als Putzgeräte werden der fleißigen Hausfrau unter anderem ein Blocker samt Blockerreiniger, ein Mop und ein Möbelpinsel ans Herz gelegt. Der Staubsauger ist wird als arbeitssparendes Gerät angespriesen. Richtig angewendet könne er der Hausfrau fast die ganze tägliche Zimmerreinigung abnehmen.

Bei Wäsche und Kleidung wird dringend geraten, „nicht die billigste Ware zu wählen“. Es sei „bestimmt wirtschaftlicher, sich da zumindest für die mittleren Preislagen zu entscheiden.“ Und „beim Einkauf von Damenwäsche muss man sich vorher überlegen, ob man bereit ist, für die Schönheit des Wäschestücks ein Übermaß an Zeit für das Bügeln zu opfern.“

Die Pflege und Führung des Haushaltes wird unterteilt in die kleine und die gründliche Reinigung sowie den Großputz. Fazit: Niemand freut sich auf die Putzerei, aber wenn man fertig ist, freut man sich an der sauberen Wohnung. Zum Trost: „Die meisten Mädchen haben eine angeborene Freude und Begabung für Haushaltsdinge“. Hier empfehlen sich wieder mal zwei Waiblinger Unternehmen. Die Stadtwerke raten zu einer Elektroküche selbst im kleinsten Raum und Karl Schnabel fertigt in seiner Werkstätte in der Karlstraße Möbel in handwerklicher Ausführung.

Die „Vorschläge für den Küchenzettel“ lesen sich wie eine topaktuelle Einkaufsliste für saisonale Rezepte. Im Mai gibt es gelbe Rüben, grüne Kräuter, Radieschen und Rhabarber, wir kochen zur Resteverwertung Brotsuppe mit Gemüse und einen Quarknudelauflauf mit Fruchttunke. Beim Messerschmiedmeister Fr. Eisele gibt es die passenden Bestecke, in der Sauerkonservenfabrik Karl Kübler Ochsenmaulsalat und Delikatess-Sauerkraut.

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Elektro–Merz in der Schmidener Straße bietet als Helfer der Hausfrau die Technik im Haushalt, Eugen Merz hat vielseitige Experimentierkästen für Jugen von heute – Techniker von morgen im Angebot, gesundheitstechnische Einrichtungen gibt es im Fachgeschäft bei Flaschnermeister Theodor Röger und wenn dann mal was daneben geht wissen wir: Rasch reinigt Rösler. Wer im Reformhaus von Michèle Bälz kauft, dient seiner Gesundheit und erhält eine umfangreiche Erklärung, warum Reformwaren nicht wirklich teuer sind, denn eine altbekannte Erfahrung lehrt, dass das scheinbar Teure in Wirklichkeit das Billigere ist.

Und so endet dieser Ratgeber mit zahlreichen Koch- und Backrezepten, einem Inserat des Kohlenhändlers Paul Mannal in der Lindenstraße und einer Anzeige des Buchhandels mit der Empfehlung: „Dieses Buch soll nicht das einzige auf Ihrem Bücherbrett sein! Gehen Sie ruhig in die nächste Buchhandlung und stöbern Sie dort nach Büchern – für Sie zur Unterhaltung, Belehrung und Weiterbildung. […] Sie brauchen nicht zu denken, daß Sie gleich kaufen müssen; der Buchhändler drängt Sie nicht dazu, aber er berät Sie gerne, auch wenn es erst für später ist!“

Was auch immer den vorherigen Besitzer dazu veranlasst hat, das Buch auszusortieren und in das offene Bücherregal am Karo zu stellen – ich habe mich sehr gefreut, dass es mir in die Hände gefallen ist. Es ist ein Stück Lokal- und Zeitgeschichte!




Orgelmusik direkt ins Haus gespielt

Der diesjährige Waiblinger Orgelsommer – es ist der 18. seiner Art – findet wie so viele Kulturveranstaltungen unter erschwerten Bedingungen statt. Üblicherweise ist der Eintritt frei und es wird um Spenden gebeten. Angesichts der Corona-Situation müssen Abstände eingehalten und Anwesenheitslisten geführt werden. Damit passen sonntagabends nur noch etwas über 100 Besucher*innen in die Michaelskirche und können dort den Orgelklängen lauschen. Aus organisatorischen Gründen müssen zudem grundsätzlich Eintrittskarten gekauft werden.

Allerdings hat sich die Kirchengemeinde etwas einfallen lassen: Die Orgelkonzerte werden live im Internet übertragen. Auf dem Youtube-Kanal des Kirchenbezirks Waiblingen  wird das Konzert direkt aus der Michaelskirche gestreamt. Eine eindrucksvolle Kameratechnik erlaubt es, den Orgelspielern direkt beim Spielen zuzuschauen. Und was es da zu sehen gibt, lässt auch geübte Konzertbesucher staunen! Schauen Sie selbst, wie Benedikt Nuding aus Waiblingen in seiner Improvisation sprichwörtlich alle Register zieht!  (etwa ab 1:05 geht es richtig rund!)


Am Sonntag, 16. August, um 19 Uhr bringt Dietrich Wimmer aus Esslingen „Luther in Jazz“ zu Gehör. Wimmer schreibt in seiner Programmankündigung: „Ich bin überzeugt, würde der Reformator heute noch leben, er hätte seinen Spaß daran [an dem zusammengestellten Liedprogramm].“ Wir sind gespannt!
Alle Infos dazu auch auf https://www.evangelisch-in-waiblingen.de/

Beste Unterhaltung zum Ausklang des Wochenendes!

Parken im öffentlichen Raum

Und wie geht’s jetzt weiter?

von Gisela Benkert

Auf ein unerwartet großes Echo gestoßen war Ende Oktober eine Veranstaltung von ALi und B90/Die Grünen im Schwanen, bei der Studenten der Fachhochschule Nürtingen/Geislingen Vorschläge gemacht hatten zu einer kleinen, aber markanten Verkehrswende in Waiblingen.
Sie haben damit eine Diskussion angestoßen, die inzwischen bereits erste konkrete Ergebnisse zeitigt: Die Stadt installiert zum Beispiel demnächst Bikestationen in der Stadtmitte, auf der Korber Höhe und in Waiblingen Süd und baut damit endlich ein echtes Fahrrad-Verleihsystem auf.

Shared space in der Fronackerstraße

Das spannendste Zukunfts-Szenario beim ersten studentischen Blick auf Waiblingen betraf die untere Fronackerstraße, in die Diskussion geworfen haben die Master-Studis der „Sustainable Mobilities“ (nachhaltige Mobilität) die Schaffung eines shared space, also eines Straßenabschnitts, in dem Fußgänger, Radler und Autofahrer völlig gleichberechtigt sind. Solche geteilten Straßenräume sind weltweit eine Erfolgsgeschichte, sie könnten Ruhe bringen ins aktuell völlig chaotische Treiben in der Fronackerstraße und für weit mehr „Aufenthaltsqualität“ sorgen.

„Interessant, anregend, vielversprechend“, so damals viele Rückmeldungen aus dem Publikum im Schwanen. Verbunden natürlich mit der bangen Frage „Wie geht’s weiter?“ Und es wird weitergehen!

Untersuchung zum Parkverhalten

Im nächsten Semester unter Leitung von Professor Sven Kesselring haben sich in Geislingen bereits wieder zwei Gruppen gebildet, die sich erneut mit dem Verkehr in Waiblingen beschäftigen. Zum einen werden momentan bereits die Parkverhältnisse in Waiblingen insgesamt untersucht, dabei geht es natürlich auch um die Auslastung der drei nächstgelegenen Parkhäuser zur Fronackerstraße als potentiellem neuen shared space. Und damit auch um die Frage, ob zum Beispiel die Querparkplätze weichen könnten zugunsten neuer, geteilter Räume.
Ausgewertet werden dafür diverse Daten zum generellen Parkverhalten der Waiblinger, im Focus dabei auch: Die Brötchentaste, einst Lieblingskind von Oberbürgermeister Hesky, nach den Maßstäben einer modernen Verkehrsplanung aber möglicherweise inzwischen arg kontraproduktiv.
Gezielt einbeziehen wollen die Studis auch die sogenannten Stakeholder, also Anwohner, Kunden und natürlich die Ladenbesitzer.
„Nur wenn alle Interessen gehört und in die konzeptionelle Planung einfließen, kann ein neues Parkraumkonzept nachthaltig gestaltet werden“, so Mamimilian Maisel, Sprecher der Gruppe. Denn Ziel des Projekts sei auch „die Entwicklung alternativer Parkideen, welche die Anzahl der Autos in der Innenstadt reduzieren sollen ohne dabei die Wirtschaftskraft der Innenstadt zu schwächen – Stichwort leere Innenstädte“.
Um bei diesen Interessensgruppen sowohl deren Ansichten zur aktuellen Verkehrssituation wie auch zu möglichen Veränderungen abzufragen, wird es sogenannte „Fokusgruppen-Interviews“ geben. Angesprochen werden sollen Geschäftseigner, Vertreter des Bundes der Selbständigen, Fronackerstraßen-Bewohner sowie auch Waiblingerinnen und Waiblinger außerhalb der „Problemzone“, die aber regelmäßig zum Einkaufen herkommen. Gespiegelt werden soll quasi ein „Querschnitt der Gesellschaft“, gemischt auch nach Alter und Geschlecht.

Junge Leute an der Diskussion beteiligen

Eine absolute Novität für Waiblingen wird ein weiteres Projekt werden – die Studierenden Pamela, Niklas und Stephen wollen zusammen mit einheimischen Jugendlichen das Verkehrsverhalten der Generation Y untersuchen, also die Anforderungen und Wünsche von jungen Leuten in einer Art Zukunftswerkstatt bündeln. Die Forschungsgruppe beschäftigt sich mit der Frage, „wie Waiblingen zu einer Vision einer nachhaltigen Mobilität gelangen kann“. Entwickelt werden soll ein „beteiligungorientierter Ansatz, der insbesondere die Generation Y und die Millenials stärker einbezieht, weil sie in der Diskussion um das Thema Verkehr und Mobilität in Waiblingen in der Öffentlichkeit zu wenig zu Wort gekommen sind“. Unter anderem planen die Studierenden Fokusgruppen, die im Detail befragt werden sollen – und genau dafür werden noch Mitmacher und Mitmacherinnen gesucht.
Es geht darum, Mitglieder dieser Generationen zusammenzubringen und sie über diese Themen miteinander diskutieren zu lassen. Ableiten wollen die Studis damit ein Meinungs- und Wertebild dieser Zielgruppe. Es geht um Felder wie „Mobilität heute und morgen“ und um eine generell aktivere Beteiligung an Themen, die Waiblingen bewegen, auch mit Blick auf die Mediennutzung.

Interviewpartner gesucht!

Interviewt werden sollen zwei Gruppen – eine mit 14- bis 17-jährigen und eine zweite für 18- bis 25-jährige. Jeweils sind bis zu zehn Teilnehmer möglich, die Gespräche dauern eine bis eineinhalb Stunden, stattfinden sollen sie im Zeitraum zwischen dem 27. Januar und dem 14. Februar.
Stephen, Niklas und Pamela wünschen sich dafür aufgeschlossene junge Leute, die möglichst nicht alle aus einer Klasse stammen. Politisch Interessierte sind ebenso willkommen wie junge Leute, die mit Politik bisher nicht so viel am Hut hatten. Wichtig ist auch; dass die Befragten auf unterschiedliche Weise in die Schule oder zur Arbeit gelangen – also mit dem Auto, mit dem Fahrrad, mit dem ÖPNV oder auch zu Fuß – schlussendlich soll „ein realistisches Meinungsbild zustande kommen“.

Wer dabei sein will, schreibt bitte eine E-Mail an agtif-fraktion-wn@gmx.de.

Frisch verliebt

„Wunderschöner Garten Gottes“ – so soll Kaiser Josef II im Jahr 1777 bei einer Reise durch Württemberg das Remstal bezeichnet haben. Ob’s stimmt oder nicht durften wir alle jetzt selbst überprüfen. Es galt, das Naturparadies direkt vor unserer Haustüre neu zu entdecken. Die Remstal Gartenschau hat in den vergangenen 164 Tagen das 78 Kilometer lange Flusstal zwischen Essingen und Neckarrems nachhaltig verändert.

Neugestaltet und neu erlebt. Während im Amazonas medienwirksam die Urwälder brennen, in den Anden die Wüsten für Seltene Erden zerstört werden, die Meere mit Plastik geflutet und die Tundra durch Ölleitungen seziert wird, zeigt die Remstal Gartenschau, was regionale Naturverbundenheit bewegen, was nachhaltiger Umgang mit Flora und Fauna im direkten persönlichen Umfeld für Nutzen bringen kann. Renaturierte Uferzonen, Spielplätze für die Kleinen, Fahrrad- und Wanderwege für die Großen. Biergärten, idyllisch in bestehende Landschaftssysteme integriert, historische Altstädte an den Fluss neu angebunden. Das alles macht Sinn. Das alles macht Hoffnung, dass es noch nicht zu spät ist mit Klimawandel, Erderwärmung und Naturzerstörung – dass wir den Blick nicht verloren haben auf das was uns wichtig ist und letztendlich unser Überleben sichert. Bitte, es geht doch!

Ein herrlich buntes Mosaik von Spiegelungen in der Rems hat meinen Blick auf die Heimat neu geschärft. Hinter jeder Flussbiegung gab’s was Neues zu entdecken. Nicht gekannte Ein- und Ausblicke auf die Natur, die Menschen, die Landschaft und das unglaublich breite kulturelle Angebot. Eine Spielwiese für jedes Alter, eine Bühne für Pflanzen und Menschen. Und eine Plattform, sich der Heimat neu zu nähern, diesen angestaubten Begriff frisch zu überdenken. Zu erkennen: wer sich die Mühe macht, genauer hinzusehen, kann die Heimat, diesen sentimentalen Sehnsuchtsort, neu entdecken. Nicht digital, nicht global, trotzdem modern und zeitgemäß. Auf zu neuen Ufern!

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Die Erleninseln in Waiblingen

Ein herzliches DANKESCHÖN an die 16 Städte und Gemeinden, die das alles möglich gemacht haben. Dank an die Kommunen, die mutig investiert haben. Dank an alle Vereine, Organisationen und ehrenamtlich Engagierten, die sechs Monate im Sommer des Jahres 2019 zu einem für das Remstal unvergesslichen Ereignis gemacht haben. Sechs Monate, die mich verzaubert zurück lassen. Frisch verliebt. Hals über Kopf. Ins Remstal.

Sommerabend im Remstal bei Endersbach

Titelfoto: Am ‚Remsstrand‘ in Waiblingen (alle Fotos: W. Wiedenhöfer)

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abgefahren: junger Blick auf alte Straßen

Von Gisela Benkert

Waiblingen ist klasse – eigentlich. Aber Waiblingen ist in die Jahre gekommen, wird immer älter, bräsiger, zementierter, diese Stadt scharrt nicht mehr mit den Füßen, ist irgendwie im Stau stehengeblieben, entwickelt sich kaum, ist nicht wirklich „zukunftsfähig“, hat zu wenig Ideen, lebt, als gäbe es kein Morgen.

Mensch, probiert doch endlich mal wieder was aus, das nicht den Namen Gartenschau trägt! Schaut endlich hin, wenn sich Autoschlangen durch Wohngebiete quälen, wenn Gehwege zugeparkt sind, Radler und Fußgänger Kopf und Kragen riskieren. Mensch, gebt uns unsere Stadt zurück – zum Genießen, Verweilen, Einkaufen, zum drin Leben!

Das ist ein Imperativ – und angesprochen fühlen dürfen sich alle, die fürs Wohl und Wehe der Stadt zuständig sind – die Leute im Rathaus, der Gemeinderat und natürlich die Bürgerinnen und Bürger selbst.

Manchmal tut ein Weckruf gut – und den haben jetzt Studentinnen und Studenten eines internationalen Masterstudiengangs für nachhaltige Mobilität an der Fachhochule Nürtingen übernommen.
Wie kam’s? Ich als alte Waiblingerin war hocherfreut, als mein Neffe, damals noch mitten im Studium der Ingenieurswissenschaften, Fachbereich Verkehrsplanung,
bei seinen Tanten-Besuchen in der Stauferstadt ein ums andere mal befand: „Ihr habt aber eine merkwürdie Verkehrplanung hier“. Seine Analyse in etwa: Freie Fahrt für Freie Bürger, und das noch ziemlich exzessiv. Irgendwie nicht zukunftsweisend.

Er war zu jener Zeit mehrfach mit seinen Mitstudenten auch in europäischen Städten unterwegs, um studienhalber quasi einen jungen Blick auf alte Stadt-Straßen zu werfen.
Samt Analyse und Vorschlägen zum Bessermachen. Genau diese Idee wurde nun für Waiblingen aufgegriffen: Auf Einladung der Alternativen Liste und der Grünen waren Nürtinger Studenten wochenlang staunend, kopfschüttelnd und ideenreich hier unterwegs. Haben viele Gespräche geführt, Filme gedreht von endlosen Autoschlangen in der Fronackerstraße und Bahnhofstraße, sie haben den Weg von Leihrädern aus der Box ins stauferstädtische Nirwana aufgezeigt – und am Ende drei Projekte durchgeplant, die das Leben in Waiblingen ein bisschen besser machen sollen. Sie haben quasi auch geplant für eine Stadt, in der sie selber gerne Leben wollen.

Im übrigen war die Waiblinger Delegation schon beim ersten Beschnuppern im Nürtinger Hörsaal hin und weg gewesen: soviel junge Begeisterung, solch ein Elan, soviel unbedingter Wille, was richtig Gutes abzuliefern, toll!
Und zwei aus der Truppe waren sogar schon vorab mal durch Waiblingen geschlendert: „Eine sehr schöne Stadt habt ihr, aber…“
Beim nächsten Date an der Hochschule lagen schon faszinierend viele Vorschläge auf dem Tisch, jetzt wollen die Studierenden aus aller Herren Ländern ihre fertigen Arbeiten vor möglichst vielen Leuten in Waiblingen präsentieren.

Neugierig geworden? Dann einfach am kommenden Dienstag, 1. Oktober, 19.30 Uhr in den Schwanen kommen.
Zusammen mit ihrem Professor Sven Kesselring wollen die Studis ihre Ideen vorstellen.
Lauter praktikable Vorschläge für eine Stadt, die besser werden muss.

Was dann wie und ob überhaupt nachher umgesetzt wird – die Waiblingerinnen und Waiblinger haben’s selbst in der Hand.
Vielleicht muss man sich einfach mal ein bisschen anschuggen lassen. Ein bisschen Feuer fangen. Nicht bloß klagen sondern machen.

Mehr Infos gibt’s unter: www.ali-waiblingen.de

Brot und Brötchen in Hülle und Fülle

Es ist angerichtet!

Tag für Tag wandern körbeweise Backwaren nach Ladenschluss in den Mülleimer. Das kann niemand gut finden.
Bei uns gibt es inzwischen eine gut erprobte Alternative: sogenannte Lebensmittelretter tragen sich auf der Foodsharing-Plattform  für die abendliche Abholtour ein und nehmen aus den kooperierenden Bäckereien mit, was am Abend übrig geblieben ist.
Am nächsten Morgen werden die Backwaren ins Jakob-Andreä-Haus, dem Gemeindehaus der Evangelischen Michaelskirche, gebracht. Dort kann sich jeder bedienen bis alles weg ist.
Auch ein öffentlicher Kühlschrank (Fachjargon „FairTeiler“) steht dort.
Der funktioniert ähnlich simpel: Wer etwas übrig hat, legt ein, wer gebrauchen kann, nimmt mit. Ganz einfach!
(Zugegeben – ein paar Regeln gibt es schon. So dürfen keine verdorbenen Waren eingelegt werden und es gibt keine Haftung für die Qualität. Hier zählt der gesunde Menschenverstand.)
Das Jakob-Andreä-Haus ist montags bis freitags von 8-18 Uhr geöffnet.
Wer informiert werden will, wann es wieder Brot gibt, schickt einfach eine Nachricht an 0174-1307088 und wird in die whatsApp-Gruppe aufgenommen. Dann gibt’s die Nachrichten direkt aufs Handy.

Fazit: Es ist gar nicht so schwer, die Welt ein Stück besser zu machen.

Übrigens: Wir haben früher schon mal über den Kühlschrank berichtet.

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Achtung, diese Stimme kann süchtig machen

Ein Interview mit Melanie Diener über magische Momente und das Hören mit dem Herzen

Von Gisela Benkert, nachzulesen in der Waiblinger Wundertüte 2.0

Oper? Na ja, nicht so gerne. Das sind doch diese Kreischtanten mit den gepuderten Perücken und gerüschten Reifröcken. Aber die Karten sind geschenkt, jetzt gehst Du halt hin. Und lauschst im Bürgerzentrum diesem Lied, „An den Mond“ aus „Rusalka“ von Dvorak. Mit Gänsehaut fängt es an, dann beginnt der Zauber. Subkutan. Plötzlich ist alles warm und weich und fließend. Gestandene Männer haben feuchte Augen. Hilfe, was passiert da? – Eine Stimme hat sie alle gepackt. Jetzt hören sie mit dem Herzen. So soll es sein. Und es ist oft so, wenn Melanie Diener singt. Eine Waiblingerin auf den Bühnen der Welt. Und daheim ein Wundertüten-Gespräch über Bayreuth, erkältete Sänger, magische Momente und Schlaflieder für Jonas.

Was ist Musik für Dich?
Musik ist für mich Leben, ich könnte nicht ohne sie sein! Alles besteht doch aus Schwingungen, Holz klingt, Steine klingen, Wasser, wenn es tropft, Vögel singen, Tiere haben ihre eigenen Laute –Musik ist einfach Leben! Sie kann das Leben nur positiv beeinflussen.

Wie schafft eine junge Sängerin mit Kleinkind aus dem Stand eine solche Weltkarriere? Grad noch Begleitprogramm bei einer Vernissage in der Waiblinger Kleinen Galerie, wenig später die Elsa im Bayreuther Lohengrin?
Es hat sich so ergeben. Irgendwann hab ich vorgesungen bei Antonio Pappano in Brüssel, für einen Mozart-Abend. Pappano sollte im Jahr drauf in Bayreuth den Lohengrin dirigieren, er dachte sich offenbar, da könnte ich auch als Elsa passen. Ich, Wagner? Wenig später hab ich dann tatsächlich bei Wolfgang Wagner vorgesungen. Er wollte mich unbedingt haben, nur Willy Decker, der Regisseur, stellte sich eine andere Elsa vor. Pappano und Wagner setzten sich durch, Decker wurde durch den Regisseur Keith Warner ersetzt.

Im Juli 1999 debütiert also eine bis dato ziemlich unbekannte Sopranistin ausgerechnet in Bayreuth und bekommt auch noch fantastische Kritiken, feiert einen grandiosen Erfolg – das muss doch traumhaft gewesen sein …
… ich hab das ehrlich gesagt gar nicht so realisiert. Es war erst im Rückblick der Knaller. In der Situation hab ich einfach gearbeitet. Und dann wusste ich erstmal gar nicht, ob ich die Premiere überhaupt singen kann. Bei der Generalprobe war mir eine Kulissenwand auf die Schulter geknallt, ich ging zu Boden, hatte einen total verspannten Rücken, zum Singen nicht ganz ideal. Hat aber dann doch alles geklappt.

Überhaupt diese Atmosphäre in Bayreuth …
… ist schon umweht vom Geist der Geschichte. Wolfgang Wagner hab ich sehr strukturiert erlebt, sehr professionell. Er war morgens der erste und abends der letzte im Haus, nur die Stunde Mittagsschlaf war unantastbar.

Du hast drei Jahre hintereinander in Bayreuth gesungen, warst aber nie fest an einem Haus. Dafür sind von Anfang an die allerersten Adressen in Deinen Terminkalender gepurzelt …
… und auch das hat sich ergeben aus einem Vorsingen, damals in London beim Chef von Covent Garden. Mit drin saß – was ich gar nicht wusste – der Festivalleiter von Garsington. Und als ich wieder zurück war in Wablingen, kam mir schon mein Mann Frieder entgegen: „Du, das Faxgerät spuckt und spuckt …“ London, Garsington, Paris, Mozart, Mozart, Mozart ..
Alles noch vor Bayreuth.

Du singst jetzt seit 20 Jahren an den größten Opernhäusern der Welt, gibst aber auch eher intime Liederabende auf kleineren Bühnen – wie hat sich das Publikum im Laufe der Zeit verändert?
Die Masse will den Event, Brot und Spiele wie im Römischen Reich. Man geht dorthin, wo Leute auftreten, die „bekannt sind aus Funk und Fernsehen“. Open Air auf dem Münchner Odeonsplatz zum Beispiel. Das hat mit dem klassischen Betrieb wenig zu tun, da wird auch kein neues Publikum angefüttert. Das klassische Opernpublikum ist nach meiner Wahrnehmung gleich geblieben. Simon Rattle hat zwar in Berlin Rhythmus- und Tanzprojekte für junge Leute angeboten, in die Oper kommen trotzdem nach meinem Empfinden noch zu wenig.

Aber jüngst bei Tristan und Isolde war die Straßburger Oper doch voll von jungen Leuten.
Straßburg hat eine Musikhochschule, die Infrastruktur vor Ort macht den Unterschied. Es gibt verbilligte Karten, Stehplätze, das gilt auch für Wien oder Stuttgart. Nach dem Tristan in Mulhouse kamen vor ein paar Wochen Eltern mit ihrer siebenjährigen Tochter zu mir hinter die Bühne. Das kleine Mädchen hat sich überschwänglich bedankt – und die Eltern hatten zuvor Angst gehabt, dass sie die fünf Stunden Oper überhaupt durchsteht …

… es hat sie offenbar gepackt, es ging ihr unter die Haut, wie gelingt das?
Es gelingt, wenn man eine emotionale Glaubwürdigkeit der Figuren schafft. Dann packt es die Zuhörer schon.

Braucht es technische Perfektion, damit Gesang wirkt, die Zuhörer berührt? Sind Automatisierung und Routine die Voraussetzungen für den künstlerischen Höhenflug?
Ja, und das geht nur über üben, üben, üben. Jeder, der eine Passion hat, muss üben. Wie Dirk Nowitzki beim Basketball. Es braucht die extrem gute Vorbereitung, wenn man’s schleifen lässt, rächt sich das sofort.

Kennst Du als Sängerin diesen flow – nicht mehr an den Text denken, die Partitur, sich einfach hingeben und abheben?
Kommt nicht so oft vor. Bei Fidelio konzertant mit Kurt Masur in Paris isch’s oifach gloffa. Das Publikum war total gepackt, das spürt man auf der Bühne. Beim Bolshoi-Rosenkavalier in Moskau dieses Jahr gab es auch diese hingerissenen Momente, ganz unmittelbar, toll.

Geht man dafür auf die Bühne, vor tausenden von Menschen, für diesen Moment?
Irgendwie schon. Es ist das Bedürfnis, etwas auszudrücken, es zu teilen, wenn dann diese Resonanz kommt, ist es perfekt. Perfekt für diesen Moment. Das strebt man an, das tut einfach verdammt gut. Eben dieses teilen zu wollen, schwülstig gesagt: sich zu verströmen. Das sind dann die magischen Momente, fürs Publikum und die Sängerin.

Können Dirigenten oder Regisseure da mithelfen?
Klar, sie können unterstützen, mit Kostümen, mit Licht, mit Klangfarben. Den größten Erfolg hatte ich immer, wenn ich mir treu geblieben bin, wenn ich echt war, nur so erreicht man diese Magie. Ein Gefühl darf nicht „erzeugt“ werden, es muss aus mir entspringen.
Und dann kommen die Kritiker und stellen fest, dass Du dreimal einen halben Ton zu tief warst und zweimal einen zu hoch…
Wenn ein Abend darauf reduziert wird, tut’s weh. Viele Kollegen lesen keine Kritiken mehr, sie wissen selbst am besten, was sie falsch gemacht haben.

Aber Du liest sie …
Ja, und ich ärgere mich auch. Vor allem, wenn drei Leute total unterschiedlich urteilen und man den Eindruck hat, sie wären in drei verschiedenen Aufführungen gewesen. Aber Kritiker sind auch nur Menschen …

Publikum rast – Melanie Diener ist unzufrieden und wundert sich …
Dann war es technisch nicht perfekt, aber total emotional!

Oper – da denkt mancher immer noch an Kreischtanten in Reifröcken. Dabei kommt Oper heute oft ziemlich zeitgeistig daher …
… und das ist auch ein bisschen desillusionierend, wie Opern Moden unterliegen. Das Publikum will heute oft mehr fürs Auge, als fürs Ohr. Passionierte Zuhörer machen auch mal die Augen zu und hören nur … Es ist ja auch nicht immer leicht, für einen 1,82-Meter-Sopran wie mich einen adäquaten Tenor zu finden. Schlussendlich muss eine gelungene Oper gleichrangig etwas für Auge und Ohr bieten.

Kann man guten Regisseuren weniger gute Ideen ausreden?
Mal stand mir die verordnete gelbe Bluse so gar nicht. Man muss auch selber wissen, was für einen funktioniert. Die Bluse war nachher rot und die Idee kam natürlich vom Regisseur selbst …

Singen ist Hochleistungssport, wie „trainierst“ Du?
Genügend Schlaf, viel frische Luft, Sänger schwimmen viel, weil das gut ist für Ausdauer und Atmung, ohne dass einen das Eigengewicht beschwert. Und dann nicht zu spät und nicht zu viel essen …

Singen ist Arbeit mit dem ganzen Körper. Neurologen verordnen das Singen schwer depressiven Patienten und die sagen hinter-her: „Ich spüre mich wieder.“ Singen, sagen Fachleute auch, ist ein extrem guter Spannungsregulator.
Demnach müsste unsere hochangespannte Gesellschaft heute kollektiv dem Chorgesang anheimfallen … Sind Sänger wirklich die entspannteren Menschen?
Kann man so nicht sagen. Sänger spüren sicher ihren Körper mehr – der Psychodruck bleibt aber wie in jedem anderen Beruf, auch der selbstgemachte. Grundsätzlich aber wäre diese Welt ganz sicher ein besserer Ort, wenn die Menschen mehr singen würden.

Wenn in einer Weinhandlung italienische Musik läuft, kaufen die Leute mehr italienischen Wein. Auch das haben die Fachleute recherchiert und belegen damit, dass Musik ein Verführer ist. Kann man sich gegen solche Verführungen eigentlich wehren?
Nein! Das geht erstmal voll auf die emotionale Ebene und somit direkt ins Unterbewusstsein. Man kann aber lernen, bewusster zu hören. Was im übrigen auch manch menschlichem Gespräch gut täte …

Wie erkennt man, ob man diese große Partie heute abend definitiv nicht singen kann?
Wenn die Erkältung oben sitzt, geht’s noch, wenn sie runter rutscht, geht nichts mehr. Mir ist die Erkältung mal mitten im zweiten Akt Lohengrin in Bayreuth runtergerutscht. Irgendwie hab ich’s rumgekriegt, in der Pause kam der Arzt, Luftröhrenentzündung, nichts ging mehr. Zum Glück war Ersatz da, eine Kollegin ist eingesprungen.

Sonstige schreckliche Momente auf der Bühne?
Bolshoi-Premiere Rosenkavalier. Erster Akt. Der Dirigent ist nach zehn Minuten einfach rausgegangen. Das Orchester spielte drei Minuten lang führungslos weiter, dann übernahm der Assistent und rettete die Premiere. Der Dirigent lag mittlerweile mit schwerer Grippe im Krankenhaus.

Mehr Anekdoten, please!
Cosi fan tutte mit Claudio Abbado in Ferrara. Mein Unterrock war nicht richtig gebunden und rutschte mitten in einer Aufführung runter. Ich zog ihn dann notgedrungen einfach aus und gab ihn weiter an Despina. Die hat ihn beiseitegeschafft- und Abbado hat bloß noch geguckt … Oder diese Bühnenorchesterprobe an der Met, auch Cosi. Ich saß auf einem Hocker, der gab unter mir nach, ich bin in meinen Reifrock hineingesunken, thronte auf der Bühne wie ein weiblicher Pavarotti – wir haben uns alle weggeschmissen vor Lachen!
Applaus, Applaus, dann abschminken und ab ins Hotelbett. Fällst Du auch ins berühmte schwarze Loch?
Blöd ist das schon, man ist ja noch lange high durch diese ganze Anspannung, irgendwann bist du dann aber doch fertig. Das eigentliche Loch kommt am nächsten Tag, wenn das Adrenalin abgebaut ist. Aber das ist halt so, es gehört zur Routine.

Was hast Du Deinem Sohn Jonas früher vorgesungen – und was hat das bis heute, wo er fast 20 ist, für Auswirkungen?
„Guten Abend, gute Nacht“ zum Beispiel, aus London mal in der Probenpause sogar übers Telefon. Wenn man ihm im Kindergarten was vorgesungen hat, konnte er sofort das ganze Lied nachsingen. Inzwischen hat er andere Interessen.

Gibt es unmusikalische Menschen?
Nein! Es gibt nur Leute, die nie gelernt haben, mit Musik umzugehen. Wenn sie es aber wirklich wollen, auch später noch als Erwachsene, können sie durchaus „musikalisch“ werden. Ein Kind aber lernt noch spielerisch das Klavierspielen, viel leichter als ein Erwachsener, weil bei Kindern noch die Motorik viel besser funktioniert, sie denken einfach weniger drüber nach. Erwachsene sind im Kopf weiter, aber die Motorik hinkt hinterher.

Bist Du eine Diva?
Wenn damit Professionalität gemeint ist, ja. Die zickige Variante, die manchen Sängerinnen angeheftet wird, verstehe ich eher als PR-Gag.

Kann man reich werden als Sängerin?
Reich geworden bin ich nicht, aber ich kann gut von meinen Gagen leben. Anna Netrebko ist sicher reicher – dank Werbeverträgen. Ich habe halt nicht jene Faktoren im Angebot, auf die Werbeleute heute abfahren.

Ab wann ist man als Sängerin eigentlich alt – oder zu alt?
Das hängt nicht vom zahlenmäßigen Alter ab –eher davon, dass man als Sängerin irgendwann nicht mehr interessant ist, nicht mehr in Mode. Und natürlich, wenn irgendwann die Stimme weg ist. Man kann sich aber auch Madonna zum Vorbild nehmen, die sich seit Jahrzehnten immer wieder neu erfindet.

Der Klassikbetrieb wird oft totgesagt, wird immer mehr zur Geldfrage …
Musikkultur wird tatsächlich immer mehr an Geld gemessen, wird oft als Preisfrage gesehen, dabei gehören Kultur, Kunst und Musik seit Beginn der Menschheit zum Leben dazu. Es geht halt immer mehr ums Geld, das schlägt sich zum Beispiel auch in immer kürzeren Probezeiten nieder. Die Gagen werden weniger, Auftrittsmöglichkeiten für internationale Künstler brechen weg, ganz aktuell zum Beispiel im Zuge der Eurokrise in Spanien oder Italien.

Gibt es eigentlich Freundschaften unter Bühnenkollegen?
Don Giovanni an der New Yorker Met. Mitten in der Aufführung musste ich eine Schräge hoch, hab die Röcke gerafft, einer blieb unten, mein Fuß blieb hängen, ich bin vor 4000 Leuten auf die Fresse geknallt. Hinter der Bühne kam Rainer Trost zu mir, mein Tenor-Kollege aus dem Schwabenland: „Bisch okee?“ – „Noi“. Der Fuß wurde immer dicker, das Menuett konnte ich nicht mehr mit ihm tanzen. Nach dem ersten Akt ging’s in New York ins Krankenhaus, Bänderriss. Ich wollte heimfliegen, die Met wollte, dass ich eine Woche später bei der letzten Aufführung dabei bin, die wurde im Radio übertragen. Anna Netrebko hat mich während meines Krankenstandes im Appartement bekocht. Sie ist eine prima Kollegin. Und ich bin dann zum Finale singend mit einem koketten Schirmchen als Krückstock über die Bühne gehumpelt. – Als unlängst zwei Sängerkollegen aus Düsseldorf bei diesem schrecklichen Flugzeugabsturz in den französischen Alpen tödlich verunglückten, hatte ich auch das Gefühl, dass wir alle wieder ein bisschen enger zusammengerückt sind.

 

Melanie Dieners neuestes Projekt für Waiblingen ist die Internationale Opernwerkstatt, ins Leben gerufen zusammen mit Thomas Hampson und der Stadt Waiblingen.

Hier die Einzelheiten: https://www.internationale-opernwerkstatt-waiblingen.de/willkommen

Groß und Klein

Kleinere Bauarbeiten am Bädertörle Richtung Stadt.

Allerorten sind in der Waiblinger Innenstadt Bauarbeiten zu finden.

Kleine Kunstwerke bereichern die Stadt (mehr dazu hier)

und große Bagger gestalten künstliche Remsinseln.
Sie sind die ersten sichtbaren Boten der Gartenschau 2019.

Es gibt wahrlich viel zu entdecken!

Die erste Insel ist schon fertig, an der zweiten wird noch gebaggert.